Kriterien für grünen Wasserstoff

Kriterien für grünen Wasserstoff

Mitte Februar hat die EU-Kommission zwei Delegierte Rechtsakte zur Definition von erneuerbarem Wasserstoff vorgelegt. Wichtig für den nötigen Hochlauf der europäischen Wasserstoffwirtschaft ist, dass Rechtssicherheit als Basis für Investitionen geschaffen wird.

Die Nutzung von grünem Wasserstoff stellt in Deutschland eine zentrale Strategie zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 dar. Viele dafür nötige Rahmenbedingungen werden aktuell auf EU-Ebene festgelegt. Am 13. Februar 2023 hat die EU-Kommission nach über einjähriger Verzögerung im Rahmen der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (2018/2001) die finalen Vorschläge für zwei Delegierte Rechtsakte veröffentlicht. Diese Verordnungen legen fest

1. welche Kriterien der für die Elektrolyse genutzte Strom erfüllen muss, damit der produzierte Wasserstoff und daraus hergestellte andere strombasierte Energieträger als erneuerbar gelten.
2. nach welcher Methode die Treibhausgasemissionseinsparungen durch strombasierte erneuerbare sowie recycelte Energieträger berechnet werden (siehe auch hier für einen Überblick).

Ausgestaltung der Kriterien abhängig vom priorisierten Ziel

Besonders ausgiebig wurde dabei die Frage diskutiert, welches energiepolitische Ziel priorisiert werden sollte: Um den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft besonders effektiv zu beschleunigen, bietet sich die Lockerung der Strombezugskriterien für grünen Wasserstoff an, um mehr Projekte in die Wirtschaftlichkeit zu bringen. In der Folge ist der Ausbau der Wasserstoffwirtschaft dann allerdings weniger eng an den Ausbau der erneuerbaren Energien gekoppelt: Die benötigten grünen Strommengen für die Wasserstoffproduktion erhöhen den absoluten Strombedarf. Dieser zusätzliche Strombedarf wird in Deutschland in der Regel durch nicht-erneuerbare Kraftwerke gedeckt, sodass höhere Emissionen im Stromsystem zu erwarten sind. Strengere Strombezugskriterien dagegen fördern den zusätzlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien, drosseln aber voraussichtlich das Tempo des Ausbaus der Wasserstoffwirtschaft und verzögern damit wichtige Emissionseinsparungen – vor allem in der Industrie. Inwiefern der eine oder andere Weg in Summe mehr Emissionen einsparen würde, ist wissenschaftlich kaum zu fassen.

EU-Kommission priorisiert Wasserstoffindustrie

Die Europäische Kommission hat sich nun für die Lockerung der Strombezugskriterien entschieden und damit die Hürden, grünen Wasserstoff zu produzieren, herabgesetzt. Diese faktische Priorisierung der Wasserstoffwirtschaft gegenüber dem zusätzlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien muss allerdings aus wissenschaftlicher Sicht zwingend mit einem effektiven Monitoring flankiert werden. Stellt sich heraus, dass der für die grüne Wasserstoffproduktion benötigte Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft mithalten kann, muss die Politik nachsteuern. Der Anspruch – auch an die NRW-Landespolitik – schnell und effektiv die rechtlichen und planerischen Rahmenbedingungen für den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Stromerzeugungskapazitäten zu schaffen, steigt damit weiter.

Rechtssicherheit für Investitionen wird benötigt

Eine politische Entscheidung wird hier in jedem Fall dringend benötigt. Denn die fehlende Rechtssicherheit stellt auch für die nordrhein-westfälische Industrie ein Investitionshemmnis dar. Insbesondere die in NRW zahlreich vertretenen, energieintensiven Unternehmen, allen voran der Stahl- und Chemieindustrie, sind für ihre Transformation auf Wasserstoff angewiesen.
Ob die finalen Vorschläge der EU-Kommission in Kraft treten werden oder nicht, darüber entscheiden das EU-Parlament und der Rat in den nächsten Monaten. Sie können die Vorschläge annehmen oder ablehnen – Änderungen sind nicht möglich. Wie diese Entscheidung ausfällt, ist aufgrund kontinuierlicher inhaltlicher Kritik aus den Reihen des EU-Parlaments aktuell noch unklar. Einigkeit herrscht angesichts der Dynamik des internationalen Wasserstoffhochlaufs zumindest darin, dass die EU schnellstmöglich langfristig verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen in klimafreundlichen Wasserstoff schaffen muss.

Katharina Knoop, Researcherin
im Forschungsbereich Strukturwandel und Innovation

Referenzen

  1. Deutsche Energie-Agentur (2023): Delegierte Rechtsakte der Europäischen Kommission veröffentlicht: Kompromiss für grünen Wasserstoff gefunden, Meldung vom 14.02.2023, online unter: https://www.dena.de/newsroom/meldungen/2023/delegierte-rechtsakte-h2-veroeffentlicht/ (zuletzt aufgerufen am 17.03.2023).
  2. Europäische Kommission (2023): Kommission legt Vorschriften für erneuerbaren Wasserstoff fest, Pressemitteilung vom 13.02.2023, online unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_23_594 (zuletzt aufgerufen am 17.03.2023).
  3. Kasten, P., Heinemann, C. (2019): Kein Selbstläufer: Klimaschutz und Nachhaltigkeit durch PtX – Diskussion der Anforderungen und erste Ansätze für Nachweiskriterien für eine klimafreundliche und nachhaltige Produktion von PtX-Stoffen, Impulspapier im Auftrag des BUND im Rahmen des Kopernikus-Vorhabens „P2X“, Berlin, online unter: https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Impulspapier-soz-oek-Kriterien-e-fuels.pdf (zuletzt aufgerufen am 27.03.2023).
  4. Tagesspiegel Background Energie und Klima (2023): Grüner Wasserstoff: EU-Kommission will Atomwasserstoff als grün klassifizieren, Meldung vom 14.02.2023 (kein öffentlicher Zugriff).
  5. Tagesspiegel Background Energie und Klima (2023): EU-Abgeordnete erwägen Veto gegen Wasserstoffregeln, Meldung vom 10.03.2023 (kein öffentlicher Zugriff).
Keep it simple! – Frugale Innovationen

Keep it simple! – Frugale Innovationen

Frugale Innovationen bezeichnen Entwicklungen, die anwendungs­orientiert, kostengünstig, leicht zu bedienen, zu reparieren und ressourcen­schonend sind. Sie sind unerlässlich für einen zukunfts­fähigen Industrie­standort NRW.

Während die führenden Unternehmen der Welt sich zunehmend auf Luxusprodukte und überladene Innovationen für High-Income Länder konzentrieren, fehlen Lösungen, die erschwinglich sind und genau das tun, was Nutzer*innen brauchen.[1] Genau solche Innovationen sind aber essentiell für eine nachhaltige Entwicklung, die ökologische, soziale und ökonomische Ziele gleichermaßen befriedigen kann. Man nennt diese Innovationen “frugal” und diskutiert sie nicht zuletzt im Kontext der Circular Economy.

Frugale Innovation für Nordrhein-Westfalen

Wie kann ein nachhaltiger sowie ressourcen- und energieschonender Umgang mit Sachgütern in der Zukunft gewährleistet werden? Welche Schäden an Mensch und Umwelt wollen wir uns als Gesellschaft für welche Sachgüter leisten?[2] Hier ist insbesondere das produzierende Gewerbe gefragt, das NRW stark prägt. Als Teil der Circular Economy können frugale Innovationen Ressourceneinsparungen verstärken und gleichzeitig die Erschließung neuer Märkte unterstützen. Spannend ist vor allem aber, dass das Nachdenken über frugale Innovationen eine Reflektion auslöst: Welche Schäden an Mensch und Umwelt wollen wir uns als Gesellschaft leisten?

“FRUGAL” ist auch ein Akronym

F = functional, R = robust, U = user friendly,
G = growing, A = affordable, L = local

Eigentlich bedeutet das Wort „frugal“ einfach, schlicht oder karg.
Doch im Kontext der „Frugalen Innovation“ erhält es eine zusätzliche Bedeutung.
Als Akronym beschreibt es die Kernprinzipien der Frugalen Innovation.

In NRW bekommt der Ansatz der Frugalen Innovation zunehmend Aufmerksamkeit. Das Bundesland verfügt wie kaum eine Industrieregion weltweit über die notwendigen Potenziale, durch zirkuläres Wirtschaften sowohl zum Klima- und Ressourcenschutz als auch zum Erhalt seiner wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit beizutragen.[3] In unterschiedlichen Veranstaltungs- und Vernetzungsangeboten (z. B. der Kongress „zirkulär.frugal.innovativ“ und die Initiative „Open Innovation City“) entstehen im Moment in Zusammen-arbeit von Wissenschaft, Wirtschaftsförderern und Unternehmen Ansätze, um das Thema als richtungsweisend auf der regionalen Agenda zu etablieren und Unternehmen zu motivieren, neue Formen der Innovation und des nachhaltigen Wirtschaftens zu erproben.

Für die Realisierung braucht es neue Wege und Formen der Zusammenarbeit sowie Allianzen von Wissen-schaft & Forschung, regionaler Wirtschaft und weiteren Akteur*innen. Dadurch kann ein inter-disziplinärer Austausch zwischen Wirtschaft und Wissenschaft gefördert, der Wissenstransfer ermöglicht und es können gemeinsame Kompetenzfelder aufgebaut werden, um eine zukunftsgerechte Transformation der Regionen zu fördern.

Eva-Maria Goertz, Junior Researcherin
im Forschungsbereich Stoffkreisläufe

Dr. Holger Berg, stellv. Abteilungsleiter und Co-Leiter
des Forschungsbereichs Digitale Transformation

Fußnoten

  1. Krohn, Malte (2022): The Crucial Role of Mindsets in Innovation Efforts. Opening the Black Box in the Context of Frugal Innovation. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-39970-2 . Springer Gabler Wiesbaden.
  2. Wohlfart, Liza/ Bünger, Mark/ Lang-Koetz, Claus/ Wagner, Frank (2016): Corporate and Grassroot Frugal Innovation: A Comparison of Top-Down and Bottom-Up Strategies. URL: https://www.engineering-produktion.iao.fraunhofer.de/content/dam/iao/tim/Dokumente/Wohlfart_et_al_TIMReview_April2016.pdf . In: Technology Innovation Management Review, April 2016, Volume 6, Issue 4. (zuletzt abgerufen am 22.02.2023).
  3. Wuppertal Institut (2022): NRW 2030: Von der fossilen Vergangenheit zur zirkulären Zukunft. URL: https://wupperinst.org/fa/redaktion/downloads/projects/NRW2030_Zirkulaere_Zukunft.pdf  (zuletzt abgerufen am 27.01.2023).

Der Industrieplan für den Europäischen Green Deal

Der Industrieplan für den Europäischen Green Deal

Ist der neue Industrieplan der Europäischen Union eine adäquate Antwort auf die Investitionspolitik der USA und Chinas? Was bedeuten die industriepolitischen Ziele der EU für NRW? Eine Einschätzung von Prof. Dr. Manfred Fischedick.

Im Herbst 2022 hat die US-Regierung mit der Verabschiedung des 370 Mrd. $ schweren Inflation Reduction Act (IRA) für große Aufregung gesorgt. Vornehmlich sollen damit Investitionen in grüne Zukunftstechnologien angereizt werden. Dabei ist die Inanspruchnahme von Vergünstigungen aus dem IRA daran geknüpft, dass die Produktion vor Ort stattfindet. Auch China hat mittlerweile angekündigt, rund 280 Mrd. $ in saubere Technologien investieren zu wollen. Gelingt es beiden Staaten, damit ein attraktives Investitionsklima zu gestalten, besteht die Gefahr der Abwanderung zentralerer Zukunftsindustrien aus Europa. 

Die Europäische Antwort

Mit dem am 01.02.2023 veröffentlichten Europäischen Industrieplan (Green Deal Industrial Plan) versucht die EU-Kommission eine Antwort auf die beiden Programme zu geben. Dabei steht, anders als in den USA, zwar keine protektionistische Grundhaltung im Vordergrund. Dennoch kann von einem bemerkenswerten Paradigmenwechsel in der bisher eher zurückhaltenden Europäischen Industriepolitik gesprochen werden. Die EU-Kommission zielt vor allem auf eine Beschleunigung in der Umsetzung ab und setzt dafür auf vier zentrale Säulen:

  • Die Festlegung von konkreten Produktionszielen für zentrale Zukunftstechnologien über ein Netto-Null-Industrie-Gesetz (Net Zero Industry Act) im Verbund mit einer Vereinfachung der regulatorischen Rahmenbedingungen zu deren Umsetzung.
  • Die Beschleunigung von Investitionen durch – zumindest temporär – weniger strenge Beihilferegelungen. Dadurch wird es den Mitgliedstaaten erleichtert, spezifische Förderprogramme aufzulegen (z. B. für Ansiedlung von Unternehmen).
  • Eine Qualifizierungsoffensive (European Year of Skills), um die Unternehmen durch ausreichend qualifizierte Fachkräfte in die Lage zu versetzen, Veränderungen auch umsetzen zu können.
  • Der Ausbau der globalen Kooperationsbeziehungen und Verankerung der grünen Transformation in Freihandelsabkommen sowie die Entwicklung eines Critical Raw Materials Club, der den fairen Zugang zu knappen Rohstoffen auf globaler Ebene sichern soll.

Damit setzt die EU Kommission wichtige Eckpunkte fest. Es erscheint aus heutiger Sicht aber noch unsicher, ob die Maßnahmen der EU mehr als ein wichtiges politisches Signal sind, zumal zunächst nicht vorgesehen ist „frisches“ Geld bereitzustellen, sondern insbesondere auf nicht ausgeschöpfte Mittel aus dem Corona Wiederaufbaufonds zurückgegriffen wird. Zudem sollen viele Detailregelungen erst im Laufe des Jahres veröffentlicht werden.

NRW im Umsetzungswettbewerb

Als Industrie- und Technologieland ist NRW ganz besonders von der Konkurrenzsituation mit den beiden großen Absatzmärkten USA und China betroffen und muss sich überlegen, wie die nationalen und europäischen Maßnahmen seitens des Landes durch eine kluge Industrie- und Standortpolitik flankiert werden können. Im aktuellen Koalitionsvertrag ist die explizite Absicht der Landesregierung formuliert, die erste klimaneutrale Industrieregion Europas werden zu wollen Dieses Narrativ kann helfen Kräfte zu bündeln und fortschrittliche Unternehmen anzusiedeln ist aber kein Selbstgänger. Das Land ist daher gefordert, bei der Vernetzung der Akteure entlang der Wertschöpfungsketten sowie dem Aufbau essentieller Infrastrukturen für die Umsetzung der Transformation mitzuhelfen. Mit dem Zusammenschluss von Landesregierung, Industrie und Wissenschaft in der Initiative IN4Climate (Initiative für eine klimaneutrale energieintensive Industrie) sowie der Formulierung einer landesspezifischen Wasserstoffstrategie und einer Carbon Management Strategie setzt NRW hierfür wichtige Akzente.

Internationale Industriepolitik, Klimaschutz und Versorgungssicherheit.

Lesen Sie dazu auch eine weitere Stellungnahme von Prof. Dr. Manfred Fischedick, in der er den internationalen Umsetzungswettbewerb vor dem Hintergrund von Klimaschutznotwendigkeiten und Energieversorgungswettbewerb einordnet.

Flankierende Maßnahmen auf Bundeseben notwendig

Auch von der Bundesebene sind weitere flankierende Maßnahmen zu erwarten, um die eigene Position zu stärken. Bei der Festlegung der Instrumente steht in einem Exportland die Konformität mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) im Mittelpunkt. Einen direkten Protektionismus deutscher Hersteller wird es daher nicht geben. Indirekt können die Unternehmen des Landes aber profitieren, wenn z.B. Fördermittel oder die Möglichkeit, sich an Ausschreibungen zu beteiligen, an bestimmte Qualitätskriterien (z.B. Nachhaltigkeits- bzw. Klima- oder Umweltvorgaben, Ausbildungsquote) geknüpft werden, die praktisch nur durch vor Ort angesiedelte Unternehmen erfüllt werden können. Entstehen würde hierdurch eine Win-Win-Situation, da neben der Sicherstellung, dass die Wertschöpfung im Land bleibt, höhere Nachhaltigkeitsziele verankert werden.

Unabhängig davon stellt sich im Moment sicher die Frage, inwieweit der aktuelle Umsetzungswettbewerb zu einer Beschleunigung des globalen Transformationsprozesses führen kann, d.h. quasi als Booster wirkt. Oder, ob eine Bündelung der Kräfte (z.B. im Rahmen des gemeinsamen Aufbaus einer globalen Wasserstoffinfrastruktur) deutlich wirkmächtiger wäre. Grundsätzlich ist zunächst aber einmal positiv zu werten, dass die USA sich mit dem IRA nun auch auf der nationalen Ebene gegenüber der notwendigen Ausbaudynamik von erneuerbaren Energien öffnen und China seine ambitionierten Ausbauziele weiter fortsetzt. Die hierdurch ausgelösten globalen Investitionen können zu einer Innovationsdynamik führen und in der Konsequenz zu technologischen Verbesserungen und signifikanten Kostendegressionen, von denen alle (auch die Länder des globalen Südens) profitieren.

Prof. Dr. Manfred Fischedick

Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer