Grenzen technologischer Lösungen für die Kreislaufwirtschaft

Grenzen technologischer Lösungen für die Kreislaufwirtschaft

Technologien spielen eine wichtige Rolle bei der Etablierung einer Kreislaufwirtschaft. Es bedarf allerdings einer umfassenden Einbettung in kulturelle, rechtliche und organisatorische Rahmenprozesse, damit sie einen wirkungsvollen Beitrag zu den ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitszielen leisten können.  

Bild von einem Handy, das repariert wird

Technologische Innovationen können zur Gestaltung langlebiger Produkte und zur Förderung des Recyclings beitragen. Das Vorhaben, mit neuen und gezielt eingesetzten Technologien allein eine zirkuläre Wende zu vollbringen, würde jedoch an mehreren Faktoren scheitern. Beispielhaft seien hier mögliche Rebound-Effekte und strukturelle Hürden genannt.

Herausforderungen durch Rebound-Effekte

Rebound-Effekte entstehen, wenn Effizienzsteigerungen, die eigentlich Ressourceneinsparungen bringen sollten, zu einem erhöhten Konsum führen und somit die positiven Effekte zunichtemachen. Ein Beispiel hierfür ist die durch den Einsatz von Technologien optimierte Abfallsortierung: Alleine das Bewusstsein, dass die Wertstoffe dadurch weiter verwendet werden können, kann dazu führen, dass Akteure wie Unternehmen oder Enverbraucher*innen weniger motiviert sind, Abfälle primär zu vermeiden. Die Vermeidung hätte jedoch einen größeren ökologischen Nutzen. Werden hingegen technologische Ansätze mit Verhaltensänderungen bei den Nutzenden und neuen Geschäftsmodellen gekoppelt, kann das volle Potenzial technologischer Neuerungen richtig zur Geltung kommen – z.B., indem Kund*innen Produkte leihen, länger nutzen, reparieren und nach Nutzungsende zurückgeben, um Komponenten und Rohstoffe wieder in den Kreislauf zu bringen.

170 Mrd. €

ist die potenzielle Höhe des durch zirkuläre Maßnahmen freiwerdenden Einkommens

In der Studie “Modell Deutschland Circular Economy” kalkulieren die vom WWF beauftragten Forscher*innen mit umfassenden Maßnahmen zur Förderung der Circular Economy in Deutschland in neun Sektoren, durch die 170 Mrd € Einkommen frei werden könnten – Einkommen, das z.B. gespart oder in Dienstleistungen mit geringen Umweltwirkungen ausgegeben werden könnte oder aber in zusätzlichen Konsum fließen und damit beachtliche Rebound-Effekte auslösen könnte.[1]



Strukturelle Hürden für Technologieeinführung

Der Einsatz neuer Technologien ist außerdem mit hohen Investitionen verbunden und stellt für einzelne Unternehmen ein finanzielles Risiko dar. Schließen sie sich kooperativ zusammen, unterliegen sie sehr schnell den (zu Recht) strengen Auflagen des Kartellrechts.[2] Überhaupt ist ein derart kooperativer Ansatz bisher noch längst nicht für alle Unternehmen denkbar, da sie bisher noch der Kultur des Wettbewerbs unterliegen – hier ist daher auch eine Veränderung des unternehmerischen Mindsets notwendig. Derartige strukturelle Hürden, etwa im Hinblick auf finanzielle, organisatorische, kulturelle und rechtliche Rahmenbedingungen begrenzen die Wirkung rein technologischer Lösungen.

Was kann NRW tun?

    NRW hat u.a. im Förderprogramm Circular Cities.NRW erkannt, dass die Einbettung technologischer Lösungen in „neue Organisationsformen, Geschäftsmodelle, Kooperationen und technische und soziale Innovationen“[3] ein wichtiger Faktor für eine zirkuläre Wende ist. Mit dem Runden Tisch Zirkuläre Wertschöpfung NRW, initiiert durch die Ministerien für Umwelt, Naturschutz und Verkehr sowie für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, wurde zudem eine wichtige Weiche Richtung mehr Kooperation zwischen allen beteiligten Akteuren gelegt. Über solche Ansätze hinaus wäre es nun wünschenswert, Aspekte wie rechtliche und kulturelle Rahmenbedingungen zusätzlich zu technologischen Lösungen in der neuen Landeskreislaufwirtschaftsstrategie zu verankern.

      Autorin

      Dr. Imke Schmidt,
      Co-Leiterin des Forschungsbereichs Zirkulärer Wandel

      Fußnoten

      1. Prakash, S. et al. (2023): Modell Deutschland Circular Economy. Modellierung und Folgenabschätzung einer Circular Economy in 9 Sektoren in Deutschland. Freiburg. Online unter: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Unternehmen/WWF-Modell-Deutschland-Circular-Economy-Modellierung.pdf
      2. Sebis, G. (2023). Wettbewerbspolitik im Dienste der Nachhaltigkeit: Wie wird kartellrechtliche Regulatorik den Herausforderungen einer Kreislaufwirtschaft gerecht? Wuppertal Institut. Online unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/8502/file/8502_Wettbewerbspolitik.pdf
      3. https://www.in.nrw/massnahmen/circular-cities-nrw

      Kreislaufwirtschaft möglich machen: Das Recht auf Reparatur

      Kreislaufwirtschaft möglich machen: Das Recht auf Reparatur

      Produkte zu reparieren statt wegzuwerfen könnte Klima und Geldbeutel schonen – passiert in der Praxis aber immer seltener. Die Europäische Kommission hat daher jetzt ein „Recht auf Reparatur“ verabschiedet – aber was bedeutet das konkret? Und reicht es aus?

      Bild von einem Handy, das repariert wird

      Foto von Militiamobiles auf Pixabay

      Wer in der Kreislaufwirtschaft Ressourcen möglichst effizient schonen will, muss bei der Nutzungsdauer von Produkten ansetzen. Produkte zu reparieren anstatt sie wegzuwerfen, wenn nur einzelne Komponenten nicht mehr funktionieren, klingt logisch und einleuchtend – passiert in der Praxis aber immer seltener. Die Reparaturbranche befindet sich seit Jahren in einer tiefen Krise, weil sich immer komplexere Produkte kaum noch rentabel reparieren lassen. Nach Angaben der Kommission entstehen in Europa pro Jahr durch die vorzeitige Entsorgung noch brauchbarer Konsumgüter 35 Mio. Tonnen Abfall. [1] Vor diesem Hintergrund ist die Europäische Kommission jetzt aktiv geworden, mit einem sogenannten „Recht auf Reparatur“.

      Was bedeutet das konkret für mich?

      Danach müssen Unternehmen in Zukunft für viele Produktgruppen eine Reparatur anbieten anstatt nur den Umtausch eines defekten Produkts, gleichzeitig verlängert sich die Garantiezeit eines Produkts durch die Reparatur automatisch um ein Jahr. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, Reparatur durch konkrete Maßnahmen zu unterstützen und digitale Informationsangebote für Reparaturangebote zu schaffen.

      261 Mio. Tonnen CO2

      könnten in Europa jedes Jahr eingespart werden. [2]

      Diese Emissionen entstehen schätzungsweise durch die Entsorgung und Neuherstellung von Produkten, die eigentlich noch funktionsfähig wären. Die technische Haltbarkeit eines Handys liegt um etwa den Faktor 4 höher, als die tatsächliche Nutzungsdauer.

      Reicht das?

      Die neue Richtlinie der Europäischen Union tritt am 31. Juli 2026 in Kraft und bis dahin müssen die Mitgliedstaaten die Umsetzung der Richtlinie sorgfältig vorbereiten. Die Europäische Kommission schlägt unter anderem Reparaturgutscheine oder Weiterbildungsmaßnahmen vor.

      All diese Maßnahmen sind richtig und wichtig, sie müssen jedoch eingebettet werden in Strategien, die auf eine grundsätzliche Veränderung von Geschäftsmodellen abzielen: Solange Unternehmen eine höhere Rendite erzielen, wenn sie schlecht reparierbare Geräte anbieten, werden sie kaum einen Anreiz haben, in die Reparaturfähigkeit ihrer Produkte zu investieren. Ein zentraler Ansatzpunkt ist die Herstellerverantwortung: Wer Produkte mit einer unnötig kurzen Nutzungsdauer anbietet, sollte von vornherein eine höhere Gebühr zahlen, um dieses überhaupt auf dem Markt anzubieten. Zudem sollten die Kosten für Sammlung und Verwertung, die heute gleichmäßig über alle Hersteller verteilt werden, die tatsächliche Nutzungsdauer berücksichtigen – was in Zukunft über digitale Produktpässe möglich werden wird

      Was tut NRW?

        Mit dem Förderprogramm Circular Cities unterstützt NRW Städte und Kreise, die sich aus dem Recht auf Reparatur ergebenden Chancen auch in die Praxis umzusetzen. In Wuppertal wird aktuell eine App entwickelt, die für kaputte Produkte per KI-Erkennung den nächsten Reparaturbetrieb findet. 2025 wird ein Projekt starten, das die regionalökonomischen Effekte eines Reparaturbonus in Echtzeit abbilden soll. Speziell für die öffentliche Beschaffung, damit das Land NRW seine Vorbildfunktion erfüllen kann, wird es aber noch Unterstützung brauchen, reparierfähige Produkte zu priorisieren. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz NRW sieht das zwar vor, in der Praxis sind die Vergabestellen ohne verbindliche Kennwerte wie in Frankreich kaum in der Lage, das auch umzusetzen.

          Autor

          Prof. Dr. Henning Wilts, Leiter der
          Abteilung Kreislaufwirtschaft

          Fußnoten

          1. Europäische Kommission (2023): Right to repair: Commission introduces new consumer rights for easy and attractive repairs, Pressemitteilung, online unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_1794 (zuletzt aufgerufen am 18.11.2024).
          2. Ebd.

          Kommunen interaktiv in die Kreislaufwirtschaft führen

          Kommunen interaktiv in die Kreislaufwirtschaft führen

          Im Rahmen des Projektes bergisch.circular wurde ein interaktiver Leitfaden für Kommunen entwickelt, der nicht nur theoretisches Wissen vermittelt, sondern auch konkrete Tools, Praxisbeispiele und rechtliche Orientierung rund um das Thema Kreislaufwirtschaft bietet.

          Bild von einem Bildschirm, auf dem die Startseite des interaktiven BluePrints "Zirkuläre Prozesse in Kommunen" gezeigt wird

          Foto vom Wuppertal Institut

          Der steigende Wohlstand und das Bevölkerungswachstum führen weltweit zu einem immer höheren Ressourcenverbrauch – mit schädlichen Folgen für den Planeten und uns Menschen. Kreislaufwirtschaftliche Ansätze wie z. B. Recycling und Wiederverwendung bieten nachhaltige Lösungen, indem sie Ressourcen länger nutzen und den Bedarf an neuen Rohstoffen senken. Kommunen spielen bei der Umsetzung der Transformation eine zentrale Rolle, da sie viele Ressourcen managen, etwa im Abfallbereich, beim Bau kommunaler Gebäude und in der öffentlichen Beschaffung.

          Überproportionales Wachstum

          Derzeitige Wirtschaftsstrukturen sorgen für hohen Ressourcenverbrauch

          Bis 2060 wird sich der globale Ressourcenverbrauch im Vergleich zu 2017 voraussichtlich verdoppeln, während die Weltbevölkerung nur um 26 % wächst [1] [2] – ein klares Zeichen für die notwendige Transformation!

          Ressourcenschonung im Bergischen Städtedreieck

          Das Projekt bergisch.circular treibt die Kreislaufwirtschaft in den Stadtverwaltungen des Bergischen Städtedreiecks voran, mit Fokus auf zirkulärem Bauen, nachhaltiger öffentlicher Beschaffung und Abfallvermeidung. Gemeinsam wurden Vorhaben wie eine Pilotsammlung für Altmatratzen angestoßen, um Ressourcen effizienter zu nutzen.

          Kreislaufwirtschaft handhabbar machen

          Damit auch andere Kommunen den Weg zur Kreislaufwirtschaft einschlagen können, wurde in dem Projekt ein interaktiver Leitfaden, der „Blueprint“, entwickelt. Dieser Leitfaden bündelt Erkenntnisse aus bergisch.circular und bietet u. a. praxisnahe Beispiele, Literaturempfehlungen sowie Tools wie einen Textbaustein-Katalog für zirkuläre Kriterien in Ausschreibungen. [3]

          Der Leitfaden ermöglicht eine einfache Navigation durch Themen zur Kreislaufwirtschaft und bietet vertiefendes Begleitmaterial. Ziel ist es, Kommunen deutschlandweit zur Ressourcemschonung zu inspirieren. Insb. für NRW, das derzeit stark auf Grundstoffe ausgerichtet ist, spielt die Transformation eine entscheidende Rolle für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. [4]

            Autor*innen

            Maike Demandt, Researcherin
            im Forschungsbereich Zirkuläre Systeme

            Dominik Martin, Researcher
            im Forschungsbereich Zirkulärer Wandel

            Fußnoten

            1. OECD (2019): „Global Material Resources Outlook to 2060: Economic Drivers and Environmental Consequences“, OECD Publishing. Paris. online unter: https://doi.org/10.1787/9789264307452-en (zuletzt aufgerufen am 7.11.2024).
            2. UN DESA (Population Division) (2024): „Prognose zur Entwicklung der Weltbevölkerung von 1950 bis 2100 (in Milliarden)“, online unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1717/umfrage/prognose-zur-entwicklung-der-weltbevoelkerung/ (zuletzt aufgerufen am 7.11.2024).
            3. Neue Effizienz (2024): „Blueprint: Zirkuläre Prozesse in Kommunen“, online unter: https://bergisch-circular.de/wp-content/uploads/sites/3/2024/09/Blueprint-bergisch.circular-1.2.pdf (zuletzt aufgerufen am 7.11.2024).
            4. Wilts, H., Berg, H., Seyring, N., Vahle, T., Herrmann, S., Kick, M., Müller-Kirschbaum, T. (2022): „NRW 2030: Von der fossilen Vergangenheit zur zirkulären Zukunft“, online unter: https://wupperinst.org/fileadmin/redaktion/downloads/projects/NRW2030_Zirkulaere_Zukunft.pdf (zuletzt aufgerufen am 7.11.2024).
            Mehr Suffizienz wagen – so gelingt Klimaschutz für alle

            Mehr Suffizienz wagen – so gelingt Klimaschutz für alle

            Suffizienz ist die Strategie des rechten Maßes für Konsum und Produktion. Technische Klimaschutzmaßnahmen allein verfehlen ohne sie ihr Ziel. Suffizienz stellt für das Industrieland Nordrhein-Westfalen eine besondere Chance und Herausforderung dar.

            Menschen sitzen auf einer großen Wiese in einem Park und schauen in den Sonnenuntergang.

            Foto von Leah Kelley auf Pexels

            Suffizienz hat das Potenzial, die Energiewende und die Transformation der Wirtschaft zu ermöglichen. Nach aktuellen Suffizienzszenarien kann durch eine entsprechende, politische Rahmengebung die Energienachfrage bis zur Mitte des Jahrhunderts um 14 bis 25 Prozent reduzieren. Das ist auch dringend nötig, denn der Weltklimarat IPCC [1] und der deutsche Expertenrat für Klimafragen (EKR) [2] sind sich einig: Ohne Suffizienz bzw. “Aktivitätsreduktion” ist die Einhaltung der Klimaziele gefährdet. Suffizienz ist außerdem möglich, denn im Jahr 2022 haben Verbraucher*innen, Unternehmen und die öffentliche Hand ohne ad hoc fast ein Viertel des Gasverbrauchs eingespart. [3] Es bedarf aber keiner weiteren, geo- und friedenspolitischen Katastrophen, um suffizientes Verhalten nicht nur zu ermöglichen, sondern sogar zur attraktivsten Lösung zu machen: Kopenhagen zeigt seit langem, dass eine herausragende Infrastruktur den Umstieg auf das Fahrrad zur sinnvollsten Lösung macht. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag der Bundesregierung [4] greift erste, kleinteilige Suffizienzmaßnahmen auf (z. B. im Kontext von Online-Handel und Werbung). Suffizienz sollte dabei auf keinen Fall missverstanden werden – es geht nicht darum, Bedürfnisse zu beschneiden und das Leben komplizierter zu machen, als es heute schon ist. Es geht im Gegenteil darum, einfache und (energie-)sparsame Formen zu finden, wie alltägliche Bedürfnisse wie Mobilität und Wohnen befriedigt werden können. Einschränkungen von Konsumhandlungen sollten ohnehin erst dann erfolgen, wenn attraktive Alternativen verfügbar sind.

            Suffizienz

            liegt zwischen Exzess und der Befriedigung von Grundbedürfnissen

            Am Wuppertal Institut definieren wir Suffizienz als Strategie zur Reduktion von Konsum- und Produktionsniveaus durch die Veränderungen sozialer Praktiken. Ziel ist, einerseits durch Vermeiden von Exzess und Überfluss ökologische Grenzen einzuhalten und andererseits allen Menschen die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zu ermöglichen 

            Suffizienz ist mehr als individuelles Verhalten: die Politik setzt den Rahmen

            Ärmere Menschen leben häufig an vielbefahrenen Straßen [5] und in überbelegten Wohnungen [6]. Daher zählen sie zu den Profiteur*innen von Suffizienzpolitik, wenn diese gerecht gemacht wird. Sie profitieren, wenn sich durch suffizientes Mobilitätsverhalten das motorisierte Verkehrsaufkommen verringert und durch kluge Wohnraumpolitik [7] der Wohnraum bedürfnisorientiert verteilt wird.

            In politischen Prozessen gibt es für Suffizienz unzählige Stellschrauben, darunter zum Beispiel:

            • Große Wohnungsunternehmen in wachsenden Städten NRWs könnten eine Mindestbelegungsquote im Bestand einführen, wie es sie z. B. in Zürich gibt. [8]
            • Eine Mehrwertsteuersenkung auf pflanzliche Grundnahrungsmittel, kann die Portemonnaies der Bürger*innen entlasten.
            • Werbeverbote für klimaschädliche Produkte wie SUV und Kreuzfahrten können den Energieverbrauch und Ressourcenbedarf ebenfalls senken.

            Nordrhein-Westfalen kann Vorreiter der Suffizienzstrategie werden

            Suffizienz als politische Strategie ist in Nordrhein-Westfalen aufgrund der vergleichsweise hohen Siedlungsdichte und des Energieverbrauches besonders wichtig, um Flächen zu sparen und die Transformation zu 100 % erneuerbaren Energien zu schaffen. Die Gesellschaft in NRW kann noch viel tun, um weniger Energie zu verbrauchen – und überhaupt zu benötigen.

            Zukunftsimpuls:

            Suffizienzpolitik als Booster zum Erreichen der Klimaschutzziele

            Der aktuelle Zukunftsimpuls der Wuppertal Instituts zeigt, dass Suffizienzstrategien und -politik den Wandel bringen können – bei Konsum, Gebäuden, Verkehr, Kreislaufwirtschaft und Energie. Sie können ihn auf der Institutswebseite herunterladen.

            Aber wie kann ein sinkender Konsum mit wirtschaftlichem Erfolg kombiniert werden? In NRW gibt es dafür vielversprechende Ansatzpunkte. Vielleicht wird NRW in Zukunft “Export-Weltmeister” im Umbauen, Sanieren, Reparieren, und urbanen Produzieren? Die Kreislaufwirtschaft kann ein Einstiegspunkt in die Suffizienzdiskussion sein, denn fünf der neun Circular Economy-Strategien[9], der sogenannten R-Strategien, sind praktisch Suffizienz bzw. haben Suffizienzanteile – „Refuse“, „Rethink“, „Reduce“, „Reuse“ und „Repair”. Die räumliche Nähe von Schlüsselakteuren einer Kreislaufwirtschaft ist definitiv eine der Stärken von NRW. Die Etablierung einer erfolgreichen Kreislaufwirtschaft bietet das Potenzial, Suffizienz aus der “Verzichtsschublade” herauszuholen. Ein weiteres Leitbild für eine suffizienzkompatible Wirtschafts- und Produktionsweise wurde im Bergischen Städtedreieck unter dem Stichwort „Neue Urbane Produktion“ [10] entwickelt. Neue Urbane Produktion beschreibt gemeinwohlorientierte Produktionsstätten, welche Güter nutzer*innen-nah herstellen und/oder bearbeiten sowie überwiegend lokale Ressourcen und/oder Wertschöpfungsketten nutzen.

            Dr. Benjamin Best, Senior Researcher
            im Forschungsbereich Strukturwandel und Innovation

            Fußnoten

            1. IPPC (2022): „Climate Change 2022, Mitigation of Climate Change, Summary for Policymakers“, online unter: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg3/downloads/report/IPCC_AR6_WGIII_SPM.pdf.
            2. Expertenrat für Klimafragen (2023): „Stellungnahme zum Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023“, online unter: https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2023/09/ERK2023_Stellungnahme-zum-Entwurf-des-Klimaschutzprogramms-2023.pdf.
            3. Ruhnau, O., Stiewe, C., Muessel, J. et al. (2023): „Natural gas savings in Germany during the 2022 energy crisis“, online unter: https://www.nature.com/articles/s41560-023-01260-5.
            4. SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP (2021): „Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP“, online unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/gesetzesvorhaben/koalitionsvertrag-2021-1990800.
            5. Umweltbundesamt (2023): „Umweltgerechtigkeit – Umwelt, Gesundheit und soziale Lage“, online unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse-auf-den-menschen/umweltgerechtigkeit-umwelt-gesundheit-soziale-lage#umweltgerechtigkeit-umwelt-gesundheit-und-soziale-lage.
            6. Eurostat (2023): „Overcrowding rate by age, sex and poverty status – total population – EU-SILC survey“, online unter: https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/ILC_LVHO05A__custom_8530615/default/table?lang=en.
            7. Bierwirth A., Buschka, M. (2023): „Wohnraumsuffizienz ermöglichen“, online unter: https://nachhaltigkeitsradar.nrw/wohnraumsuffizienz-ermoeglichen.
            8. Heintze, D. (2023): „Niemand redete von Umzugszwang…“, online unter: https://chrismon.evangelisch.de/kolumnen/wohnlage/wieso-die-pflicht-zum-wohnungstausch-in-zuerich-gerecht-ist.
            9. Deutsches Institut für Normung (o. A.): „Modell der R-Strategien“, online unter: https://www.din.de/de/forschung-und-innovation/themen/circular-economy/normenrecherche/modell-der-r-strategien.
            10. „Neue Urbane Produktion“, online unter: https://www.din.de/de/forschung-und-innovation/themen/circular-economy/normenrecherche/modell-der-r-strategien.
            Kreislaufstrategien für die Versorgungssicherheit und nachhaltige Nutzung kritischer Rohstoffe

            Kreislaufstrategien für die Versorgungssicherheit und nachhaltige Nutzung kritischer Rohstoffe

            Kritische Rohstoffe sind Schlüssel für Zukunftstechnologien im Feld der erneuerbaren Energien und Elektromobilität. Die EU setzt auf mehr Inlandsproduktion und verstärktes Recycling. NRW kann seine Wirtschaft durch Kreislaufstrategien nachhaltig stärken.

            Foto von Roberto Sorin auf Unsplash

            Die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen und deren Bedeutung ist in den letzten Jahren stark gestiegen, denn sie bilden die Grundlage für viele Zukunftstechnologien – insbesondere auch im Zusammenhang mit der Energiewende. Zum Beispiel sind Lithium-Batterien unverzichtbar für Elektroautos, Seltene Erden werden für die Herstellung von Dauermagneten in Windturbinen benötigt.

            Entwicklungen auf EU-Ebene

            Auf europäischer Ebene gibt es bereits seit der Rohstoffinitiative im Jahr 2008 [1] Bemühungen, die Frage um kritische Rohstoffe und ihre Versorgungssicherheit zu adressieren. Die Debatte gipfelte im März 2023 im Vorschlag des Critical Raw Materials Act durch die EU-Kommission [2], der klare, ganzheitliche Ziele vorgibt: Während zum einen die zunehmende Förderung und Verarbeitung von Rohstoffen in der EU forciert wird, sollen bis 2030 mindestens 15 % des Jahresverbrauchs der EU auch durch Recycling gedeckt werden. Die EU setzt damit erstmals ein messbares Ziel für die Umsetzung einer Kreislaufstrategie in Bezug auf alle kritischen Rohstoffe.

            Rasanter Anstieg der Lithiumnachfrage

            Die globale Produktion von Lithium hat sich in den letzten 10 Jahren mehr als verdreifacht [3]

            Lithium wird hauptsächlich in Batterien verwendet. Durch den Ausbau der Elektromobilität der letzten Jahre ist die Nachfrage und damit die Produktion erheblich gestiegen. Es ist davon auszugehen, dass die Nachfrage auch in den nächsten Jahren weiter steigen wird.

            Auswirkungen und Chancen in NRW

            Als starkes Industrie- und Wirtschaftszentrum ist NRW besonders von kritischen Rohstoffen abhängig und ist direkt von der EU-Strategie betroffen. Branchen wie etwa die Chemie- und Elektroindustrie sowie die Metallverarbeitung sind von ihrer Verfügbarkeit abhängig. Die Reduzierung des Ressourceneinsatzes in der Produktion, die Verlängerung der Produktlebensdauer, die Wiederaufbereitung von End-of-Life Produkten sowie das Recycling von kritischen Rohstoffen – Kreislaufstrategien also – spielen in der Folge für die zukünftige Wirtschaftlichkeit dieser Sektoren eine wesentliche Rolle. Sie sind notwendig, um Industrien krisenfester und nachhaltiger zu gestalten [4]. Diese Aspekte sollten auch einen festen Platz in der Landeskreislaufwirtschaftsstrategie einnehmen, die in NRW aktuell erarbeitet wird.

            Die Forschungs- und Innovationslandschaft in NRW bietet darüber hinaus vielversprechende Möglichkeiten, um neue Technologien, Recyclingverfahren und Substitutionslösungen zu entwickeln und somit die allgemeine Nachfrage nach kritischen Rohstoffen zu verringern. Dafür müssen Politik und Industrie jedoch eng zusammenarbeiten und einen gemeinsamen Fokus auf die Suche nach den nachhaltigsten Lösungen legen. 

            Silvia Proff, Junoir Researcherin
            im Forschungsbereich Kreislaufwirtschaft

             

            Fußnoten

            1. Commission of the European Communities. (2008). Communication from the Commission to the European Parliament and the Council: The Raw Materials Initiative – Meeting Our Critical Needs for Growth and Jobs in Europe. Brussels. COM(2008) 699 final. https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2008:0699:FIN:en:PDF
            2. European Commission. (2023). Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council Establishing a Framework for Ensuring a Secure and Sustainable Supply of Critical Raw Materials and Amending Regulations (EU) 168/2013, (EU) 2018/858, 2018/1724 and (EU) 2019/1020. COM(2023) 160 final. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A52023PC0160.#Namen (#2021): „#Titel“, online unter: https://www.link.de/politik/deutschland/diesisteinlink (zuletzt aufgerufen am #.#.202#).
            3. U.S. Geological Survey. (1996-2023). Mineral Commodity Summaries 1996-2023. U.S. Geological Survey (U.S. Geological Survey, 1996-2023 [yearly publication]). https://www.usgs.gov/centers/national-minerals-information-center/mineral-commodity-summaries
            4. University of Cambridge Institute for Sustainability Leadership (CISL) and the Wuppertal Institute. (2023). Embracing circularity: A pathway for strengthening the Critical Raw Materials Act. Cambridge, UK: CLG Europe.
            Keep it simple! – Frugale Innovationen

            Keep it simple! – Frugale Innovationen

            Frugale Innovationen bezeichnen Entwicklungen, die anwendungs­orientiert, kostengünstig, leicht zu bedienen, zu reparieren und ressourcen­schonend sind. Sie sind unerlässlich für einen zukunfts­fähigen Industrie­standort NRW.

            Während die führenden Unternehmen der Welt sich zunehmend auf Luxusprodukte und überladene Innovationen für High-Income Länder konzentrieren, fehlen Lösungen, die erschwinglich sind und genau das tun, was Nutzer*innen brauchen.[1] Genau solche Innovationen sind aber essentiell für eine nachhaltige Entwicklung, die ökologische, soziale und ökonomische Ziele gleichermaßen befriedigen kann. Man nennt diese Innovationen “frugal” und diskutiert sie nicht zuletzt im Kontext der Circular Economy.

            Frugale Innovation für Nordrhein-Westfalen

            Wie kann ein nachhaltiger sowie ressourcen- und energieschonender Umgang mit Sachgütern in der Zukunft gewährleistet werden? Welche Schäden an Mensch und Umwelt wollen wir uns als Gesellschaft für welche Sachgüter leisten?[2] Hier ist insbesondere das produzierende Gewerbe gefragt, das NRW stark prägt. Als Teil der Circular Economy können frugale Innovationen Ressourceneinsparungen verstärken und gleichzeitig die Erschließung neuer Märkte unterstützen. Spannend ist vor allem aber, dass das Nachdenken über frugale Innovationen eine Reflektion auslöst: Welche Schäden an Mensch und Umwelt wollen wir uns als Gesellschaft leisten?

            “FRUGAL” ist auch ein Akronym

            F = functional, R = robust, U = user friendly,
            G = growing, A = affordable, L = local

            Eigentlich bedeutet das Wort „frugal“ einfach, schlicht oder karg.
            Doch im Kontext der „Frugalen Innovation“ erhält es eine zusätzliche Bedeutung.
            Als Akronym beschreibt es die Kernprinzipien der Frugalen Innovation.

            In NRW bekommt der Ansatz der Frugalen Innovation zunehmend Aufmerksamkeit. Das Bundesland verfügt wie kaum eine Industrieregion weltweit über die notwendigen Potenziale, durch zirkuläres Wirtschaften sowohl zum Klima- und Ressourcenschutz als auch zum Erhalt seiner wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit beizutragen.[3] In unterschiedlichen Veranstaltungs- und Vernetzungsangeboten (z. B. der Kongress „zirkulär.frugal.innovativ“ und die Initiative „Open Innovation City“) entstehen im Moment in Zusammen-arbeit von Wissenschaft, Wirtschaftsförderern und Unternehmen Ansätze, um das Thema als richtungsweisend auf der regionalen Agenda zu etablieren und Unternehmen zu motivieren, neue Formen der Innovation und des nachhaltigen Wirtschaftens zu erproben.

            Für die Realisierung braucht es neue Wege und Formen der Zusammenarbeit sowie Allianzen von Wissen-schaft & Forschung, regionaler Wirtschaft und weiteren Akteur*innen. Dadurch kann ein inter-disziplinärer Austausch zwischen Wirtschaft und Wissenschaft gefördert, der Wissenstransfer ermöglicht und es können gemeinsame Kompetenzfelder aufgebaut werden, um eine zukunftsgerechte Transformation der Regionen zu fördern.

            Eva-Maria Goertz, Junior Researcherin
            im Forschungsbereich Stoffkreisläufe

            Dr. Holger Berg, stellv. Abteilungsleiter und Co-Leiter
            des Forschungsbereichs Digitale Transformation

            Fußnoten

            1. Krohn, Malte (2022): The Crucial Role of Mindsets in Innovation Efforts. Opening the Black Box in the Context of Frugal Innovation. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-39970-2 . Springer Gabler Wiesbaden.
            2. Wohlfart, Liza/ Bünger, Mark/ Lang-Koetz, Claus/ Wagner, Frank (2016): Corporate and Grassroot Frugal Innovation: A Comparison of Top-Down and Bottom-Up Strategies. URL: https://www.engineering-produktion.iao.fraunhofer.de/content/dam/iao/tim/Dokumente/Wohlfart_et_al_TIMReview_April2016.pdf . In: Technology Innovation Management Review, April 2016, Volume 6, Issue 4. (zuletzt abgerufen am 22.02.2023).
            3. Wuppertal Institut (2022): NRW 2030: Von der fossilen Vergangenheit zur zirkulären Zukunft. URL: https://wupperinst.org/fa/redaktion/downloads/projects/NRW2030_Zirkulaere_Zukunft.pdf  (zuletzt abgerufen am 27.01.2023).

            Urbane Kreisläufe

            Urbane Kreisläufe

            Für die Kreislaufwirtschaft spielen das urbane Abfallmanagement und die urbane Infrastruktur eine wichtige Rolle. Auch in NRW machen sich erste Städte auf den Weg “Zero Waste Cities” zu werden.

            Schiefer Stein Platten im Kreis

            Foto: Tom auf Pixabay

            Die Transformation der linearen Wirtschaft zu einer Circular Economy gilt zunehmend als Schlüsselstrategie für den Ressourcenschutz. Bei diesem Paradigmenwechsel wird Abfall möglichst vermieden und Produkte durch Wiederverwendung und Reparatur so lange wie möglich genutzt.[1]

            Dabei handelt es sich um eine immense Gestaltungsaufgabe auf allen Ebenen der Governance; nicht zuletzt auch auf der lokalen Ebene, wofür integrierte Konzepte für Städte mit quantifizierbaren Zielen und transparentem Monitoring nötig sind. Die Städte spielen nicht nur aufgrund ihres hohen Anteils an der Bevölkerung und dem starken Ressourcenverbrauch eine wichtige Rolle beim Übergang zu einer nachhaltigen und zirkulär ausgerichteten Gesellschaft, sondern auch durch ihre Schlüsselkompetenzen im Bereich Abfallmanagement, Infrastruktur und Klimaschutz.

            Immer mehr Städte Circular Cities und Zero-Waste Cities

            Immer mehr Städte entschließen sich mit integrierten Konzepten, wie der Circular City Declaration oder dem Zero-Waste-City-Ansatz, urbane Kreisläufe zu schließen. Dabei spielen neben dem zirkulären Bauen und einer ressourcenleichten Beschaffung auch die Aufklärung und Sensibilisierung der Stadtgesellschaft eine wichtige Rolle. Die erste deutsche Zero-Waste-City Kiel hat sich zum Beispiel das Ziel gesetzt, bis 2035 ihre Restmüllmenge um 50 % zu reduzieren. In NRW sind es bisher wenige Städte, die sich in diesem Bereich systematisch engagieren: Als einzige Stadt in NRW hat sich bisher die Stadt Aachen der Circular City Declaration angeschlossen.g Die Stadt Bonn hat gemeinsam mit dem globalen Städteverband ICLEI eine Strategie für ein zirkuläres Ernährungssystem erarbeitet.[2] Und die Stadt Köln hat beschlossen bis Ende 2022 ein Circular City Konzept zu erarbeiten.[3]

            Carina Koop, 
            Researcherin im Forschungsbereich Stoffkreisläufe

            Fußnoten

            1. Wilts, Henning und Nadja von Gries (2017): Der schwere Weg zur Kreislaufwirtschaft. GWP – Gesellschaft. Wirtschaft, in: Politik, 66(1), S. 23–28, online unter: https://doi.org/10.3224/gwp.v66i1.02 (zuletzt aufgerufen am 11.12.2021).
            2. ICLEI und Bundesstadt Bonn (2021): Towards circular food systems in Bon, online unter: https://circulars.iclei.org/wp-content/uploads/2021/10/Towards-Circular-Food-Systems-in-Bonn-web-5mb.pdf (zuletzt aufgerufem am 30.03.2022).
              OECD (2020).
            3. The Circular Economy in Cities and Regions (OECD Urban Studies). Synthesis Report, online unter: https://www.oecd.org/regional/the-circular-economy-in-cities-and-regions-10ac6ae4-en.htm (zuletzt aufgerufen am 11.12.2021).