Extreme Hitze: Eine Herausforderung für Mensch und System

Extreme Hitze: Eine Herausforderung für Mensch und System

Mit einer Zunahme an Extremwetterereignissen steigt die Frequenz von Hitzewellen sowie ihre Intensität und verschärft die Auswirkungen auf die Bevölkerung und Gesundheit.

Weiblich gelesene Person gibt Kind eine Flasche Wasser

Foto von Ketut Subiyanto auf Pexels

Im vergangenen Jahr 2022 hat es in Nordrhein-Westfalen im Gebietsmittel 17,7 Hitzetage gegeben. [1] Ein Hitzetag wird definiert als “[…] ein Tag, an dem das Maximum der Lufttemperatur ≥ 30°C beträgt”. [2] Selbst optimistische Prognosen, die eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5-Grad erwarten, deuten auf eine Zunahme von Hitzetagen hin. Heute leben bereits 40 % der Menschen in NRW in thermisch ungünstigen oder sehr ungünstigen Situationen. Bis 2050 könnte sich die Zahl auf 80 % erhöhen. [3] Ein besonders Hitze-bedingtes Gesundheitsrisiko besteht vor allem für Kinder, alte Menschen, sozial isolierte Menschen sowie Menschen mit Vorerkrankungen.

8.173

hitzebezogene Todesfälle in Deutschland im Sommer 2022

Mit 8.173 hat Deutschland in Europa die drittmeisten hitzebezogenen Todesopfer im Sommer 2022 zu beklagen. [5] Europaweit starben über 60.000 Menschen aufgrund von Hitze. Dabei sorgt die Hitze häufig bei vulnerablen Gruppen für eine zusätzliche körperliche Belastung. 

Hitze als Herausforderung für die Gesundheit

Extreme Hitze kann eine Reihe von gesundheitlichen Beschwerden hervorrufen. Denn um den Körper abzukühlen, muss das Herz einen erhöhten Aufwand betreiben und durch eine erhöhte Blutzirkulation kann es zu einem geringen Blutdruck kommen. Hitzewellen können zu Herz-Kreislauferkrankungen, Einschränkung von kognitiven Funktionen und von Organen führen, psychische Belastungen nach sich ziehen, einen Kreislaufkollaps verursachen und letztlich im Falle eines Hitzschlags bis zum Tode führen. Zusätzlich wird in Folge von Hitzewellen die Luftverschmutzung (bspw. Ozon- und Pollenbelastung) verstärkt, was eine erhöhte Belastung für die menschliche Gesundheit bedeuten kann. Entsprechend kann es während Hitzewellen zu einer Vielzahl an akuten Versorgungs(not)fällen kommen, die das Gesundheitssystem zusätzlich stark belasten können. [4]

Maßnahmen sind unabdingbar: Überlastung verhindern, Menschen schützen

Zur Minderung der Risiken für die menschliche Gesundheit und zur Stärkung der Resilienz des Gesundheitssystems sind eine Reihe von Maßnahmen gefragt. Kommunale Hitzeaktionspläne, Aufklärungskampagnen und eine klimaangepasste städtische Planung (bspw.: klimaresiliente Gebäude, Grünflächen oder Trinkwasserbrunnen) sind wichtige Bausteine zur Verringerung von Risiken. Hierbei ist die Einbeziehung von Vertreter*innen des Gesundheitssektors relevant. [6] Neben der Stärkung der medizinischen Versorgung bedarf es gleichzeitig einer flächendeckenden Erfassung der Hitze-bedingten gesundheitlichen Auswirkungen. Wissen über temperatursensible Erkrankungen können den ambulanten und stationären Sektor bei Diagnosen unterstützen, während alltagsnahe Anpassungsstrategien und wissenschaftlich fundierte Weiterbildungskonzepte beispielsweise in Hausarztpraxen inmitten von Hitzewellen einen verbesserten Gesundheitsschutz gewährleisten können. [7] Mit präventiven Maßnahmen und dem Gewinnen von vertieftem Wissen über die Zusammenhänge von extremer Hitze und deren Auswirkungen auf den menschlichen Körper sowie vorhandene Vorerkrankungen können das Gesundheitssystem und die Menschen in NRW besser vor den Folgen des Klimawandels geschützt werden.

Tim Heßler, studentische Hilfskraft
im Forschungsbereich Stadtwandel

Dieser Beitrag für den Nachhaltigkeitsradar wurde auf Basis der kürzlich publizierten “Explorationsstudie Klimawandel und Gesundheit” des Wuppertal Instituts geschrieben, die im Auftrag der BARMER erstellt wurde. Diese gibt einen breiten Überblick über mögliche gesundheitliche Folgen des Klimawandels. Die Autor*innen Markus Kühlert und Martina Schmitt waren in der Rolle der Qualitätssicherung an diesem Beitrag beteiligt.

Fußnoten

  1. Deutscher Wetterdienst, (2023): „Klimastatusbericht Deutschland Jahr 2022“, online unter: https://www.dwd.de/DE/leistungen/klimastatusbericht/publikationen/ksb_2022.pdf?__blob=publicationFile&v=5.
  2. Deutscher Wetterdienst, (o. D.): „Heißer Tag. Wetter- und Klimalexikon“, online unter: https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?lv3=101162&lv2=101094 (zuletzt aufgerufen am 06.11.2023).
  3. Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, (2028): „Klimaanalyse NRW. LANUV-Fachbericht 86“, online unter: https://www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuvpubl/3_fachberichte/Fachbericht_86-Klimaanalyse_web-gesichert.pdf.
  4. Schmitt, M., Kühlert, M., Baedecker, C., (2023): „Explorationsstudie Klimawandel und Gesundheit: Studie im Auftag der BARMER“, online unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/index/index/docId/8335.
  5. Ballester, J., Quijal-Zamorano, M., Méndez Turrubiates, R.F. et al.,  (2023): „Heat-related mortality in Europe during the summer of 2022“, online unter: https://doi.org/10.1038/s41591-023-02419-z.
  6. Matthies-Wiesler, F. et al., (2021): „he Lancet Countdown for Health and Climate Change – Policy Brief für Deutschland 2021“, online unter: ttps://www.klimawandel-gesundheit.de/wpcontent/uploads/2021/10/20211020_Lancet-Countdown-Policy-Germany2021_Document_v2.pdf.
  7. Schmitt, M., Kühlert, M., Baedecker, C., (2023): “Explorationsstudie Klimawandel und Gesundheit: Studie im Auftrag der BARMER”, onlune unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/index/index/docId/8335.
Klima-Angst: Die emotionale Herausforderung der Klimakrise

Klima-Angst: Die emotionale Herausforderung der Klimakrise

Hitzerekorde, Waldbrände, Flutkatastrophen – Der Klimawandel ist längst keine abstrakte Bedrohung mehr. Mit der Erfahrbarkeit kommt zunehmend auch die “Klima-Angst”. Was steckt dahinter? Und wie gehen wir damit um?

Holzfliesen buchstabieren das Wort "anxiety".

Foto von Suzy Hazelwood auf Pexels

“I want you to panic! I want you to feel the fear I feel every day and then I want you to act!“ Mit diesen Worten hat die Klimaaktivistin Greta Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum 2019 in Davos “Climate Anxiety”, zu deutsch “Klima-Angst”, zu einem Bestandteil des öffentlichen Klimadiskurses gemacht. Neben der zunehmenden medialen Verbreitung begann in den letzten Jahren eine verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff der Klima-Angst. 2022 thematisierte auch der IPCC erstmals die Auswirkungen der Klimakrise auf die menschliche Psyche.[1]

Was ist Klima-Angst

Klima-Angst kann definiert werden als „Angst, die in erheblichem Zusammenhang mit dem anthropogenen Klimawandel steht“[2]. Mit einer Angststörung hat das in erster Linie nichts zu tun. Pathologische Klima-Angst ist äußerst selten. Vielmehr ist sie eine verständliche und vernünftige – und im Sinne des Klimaschutzes auch notwendige – emotionale Reaktion auf eine Bedrohung.[3] Konkret kann diese Reaktion jedoch sehr unterschiedlich ausfallen: Sie kann zu einer Leugnung, Vermeidung oder Verharmlosung der Klimakrise führen oder im schlimmsten Fall zu einem Freeze-Zustand, einem dysfunktionalen Zustand des Erstarrens.[4] Angst kann sich aber durchaus auch positiv auf das Engagement für den Klimaschutz auswirken. So weisen neuere Forschungsergebnisse darauf hin, dass Klima-Angst eine motivierende Funktion hat und individuelles Handeln fördert.[5]

Wer hat (keine) Angst vor Klimawandel?

Potentiell können alle Menschen, die sich der Klimakrise bewusst sind, Klima-Angst verspüren. Sie kann durch direktes Erleben eines Umweltproblems infolge des Klimawandels ausgelöst werden, wie beispielsweise durch das Miterleben des Jahrhundert-Hochwassers im Ahrtal im Juli 2021. Aber auch ohne unmittelbare Betroffenheit kann sich Klima-Angst, insbesondere durch die medial gestützte Klimakommunikation aktueller Ereignisse und wissenschaftlicher Erkenntnisse zu zukünftigen Entwicklungen, indirekt manifestieren.[6]

73 % 

der Jugendlichen geben an, Angst vor den Folgen des Klimawandels zu haben.

Klima-Angst ist ein immer größer werdendes Problem, vor allem bei jungen Menschen. Laut einer repräsentativen Befragung von 1.010 jungen Menschen in Deutschland im Alter von 14 bis 22 Jahren stimmen 33% der Aussage “Vor den Folgen des Klimawandels habe ich Angst.” voll und ganz zu.[7]

Bestimmte Personengruppen könnten dabei potentiell mehr oder weniger anfällig für Klima-Ängste sein. So ist Klima-Angst vor allem bei jungen Menschen weit verbreitet. Bisherige Studienergebnisse sind allerdings inkonsistent und lassen so noch keine generalisierbaren Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger*innen zu.

Wie umgehen mit der Klima-Angst?

Klar ist, dass der Klimawandel ein kollektives Problem bleibt, auch wenn Klima-Angst sich individuell äußert.[8] Für den gesellschaftlichen Umgang mit der Klimakrise könnte aber ein besseres Verständnis dieser individuellen, emotionalen Reaktion entscheidend sein: Sind bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker, andere weniger stark betroffen? Gibt es regionale Unterschiede und wodurch werden sie determiniert? Welchen Einfluss hat das Vorhandensein oder das Fehlen der Angst vor den Folgen des Klimawandels auf Lebensstile, Wahlentscheidungen oder die Akzeptanz ambitionierter Klimaschutzpolitik? Hier steht die Forschung noch ganz am Anfang.[9] Es ist zudem eine naheliegende Annahme, dass gerade die Nachhaltigkeitskommunikation aus solchen Erkenntnissen wesentlich über ihre Zielgruppen dazulernen könnte. Denn es ist wichtig, dass Klimakommunikator*innen Emotionen jeglicher Art erst nehmen, ohne sie zu instrumentalisieren.[10]

Sina Diersch, Junior Researcherin
im Forschungsbereich Stadtwandel

Fußnoten

  1. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, 2022): “Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change”, online unter: https://doi.org/10.1017/9781009325844 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  2. Pikhala, P. (2020): “Anxiety and the ecological crisis: an analysis of eco-anxiety and climate anxiety”, in: Sustainability 12(19): 7836, S. 3, online unter: https://doi.org/10.3390/su12197836 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  3. Heinzel, S. (2022): “Klima-Angst. Eine angemessene Reaktion auf eine maßlose Krise?”, in: Climate Emotions. Klimakrise und psychische Gesundheit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG, Gießen, S.132, online unter: https://doi.org/10.30820/9783837978667 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  4. Leuser, L.; Weiss, D. (2020):“Veränderungen berühren alle – Die Rolle von Emotionen in Nachhaltigkeitstransformationen”, S.14, online unter: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/veraenderungen-beruehren-alle-die-rolle-von (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  5. u.a. Whitmarsh, L., Player, L., Jiongco, A., James, M., Williams, M., Marks, E., Kennedy-Williams, P. (2022): “Climate anxiety: What predicts it and how is it related to climate action?”, online unter: https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2022.101866 (zuletzt aufgerufen am 25.07.2023).
  6. Heinzel, S. (2022): “Klima-Angst. Eine angemessene Reaktion auf eine maßlose Krise?”, in: Climate Emotions. Klimakrise und psychische Gesundheit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG, Gießen, S.131, online unter: https://doi.org/10.30820/9783837978667 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  7. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) (2022): “Zukunft? Jugend fragen! – 2021. Umwelt, Klima, Wandel – was Junge Menschen erwarten und wie sie sich engagieren”, online unter: https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/zukunft_jugend_fragen_2021_bf.pdf (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  8. Heinzel, S. (2022): “Klima-Angst. Eine angemessene Reaktion auf eine maßlose Krise?”, in: Climate Emotions. Klimakrise und psychische Gesundheit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG, Gießen, S.140, online unter: https://doi.org/10.30820/9783837978667 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  9. Wullenkord, M.C., Tröger, J., Hamann, K.R.S. et al. (2021): “Anxiety and climate change: a validation of the Climate Anxiety Scale in a German-speaking quota sample and an investigation of psychological correlates”, in: Climatic Change 168, 20, online unter: https://doi.org/10.1007/s10584-021-03234-6 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  10. Schrader, C. (2022): “Über Klima sprechen. Das Handbuch”, oekom verlag, München, S.259ff. online unter: https://doi.org/10.14512/9783962389314 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
Local Heroes: Informationen für eine wirkungsstarke Klimaanpassung auf lokaler Ebene

Local Heroes: Informationen für eine wirkungsstarke Klimaanpassung auf lokaler Ebene

Lokale Klimafolgenanpassung kann besonders effektiv sein, wenn sie an die entsprechenden räumlichen Bedingungen angeglichen ist. Doch hierzu werden orts- und themenspezifische Informationen benötigt. Auch das Lokalwissen und die entsprechenden (Modell)Unsicherheiten sind hierfür zu berücksichtigen.

grüne Stadt

Foto von cuttersnap auf Unsplash

Wie kann eine Kommune mehr zum UV-Schutz ihrer Bevölkerung beitragen? Wie kann ein Waldbestand am Niederrhein möglichst klimastabil und standortgerecht angepasst werden? Und wie kann das Weserbergland seinen ökologischen Wasserzustand aufrechterhalten?
Um diese unterschiedlichen Fragen zu beantworten und sich effektiv an die Klimawandelfolgen anpassen zu können, brauchen Entscheidende spezifische Informationen, die stark vom Anpassungsfall und der jeweiligen örtlichen Begebenheit abhängen. Folgende Fragestellungen sind dabei relevant:

  1. Soll die Anpassung auf Ebene von Gemeinden, Landkreisen, Kommunen oder Regionen stattfinden?
  2. Was sagen die Klimaprojektionen für die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten voraus?
  3. Was sind die jeweiligen ortsspezifischen Risiken, die Karten nicht abbilden?

NRW besitzt acht klimatische Großlandschaften

Die Folgen des Klimawandels äußern sich je nach naturräumlichen Gegebenheiten unterschiedlich in NRW. So hat das Land NRW acht unterschiedliche klimatische Großlandschaften. Eine Unterteilung mit entsprechenden Factsheets findet sich hier.
Während die Klimaprojektionen beispielsweise für das Bergische -, Sieger- und Sauerland eine Zunahme des Niederschlags angeben, ist für das Niederrheinische Tiefland und die Bucht eine stärkere Hitzebelastung in den Ballungsräumen zu erwarten. Auf die Klimaanpassung im Wald, aber auch auf Städte und Gewässer haben diese regionsspezifischen Unterschiede durch Topographie und Landnutzung einen Einfluss. Daher ist es für Entscheidende zunächst hilfreich, die klimatischen Informationen der jeweiligen Großlandschaft zu kennen.

Übersicht über die acht Großlandschaften NRWs

Übersicht über die acht Großlandschaften NRWs, Abb. von Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW

Hilfreiche Informationen für eine wirkungsstarke lokale Klimaanpassung

Um Informationen zu spezifischen Themen und Ortschaften in NRW zu erhalten, können Entscheidende den Klimaatlas des LANUV frei nutzen. Er stellt vielfältige Karten mit Informationen zu Klima, menschlicher Gesundheit, Konzepten zur Klimaanpassung, Gründachkataster, etc. zur Verfügung. Waldbesitzende und Förster*innen finden zudem gesonderte Informationen auf waldinfo.nrw.

Entscheidende für kleine oder mittelgroße Städte können sich online auf dem Informationsportal Klimaanpassung in Städten (INKAS) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zur Stadtentwicklung beraten lassen. Darüber hinaus stellt der DWD stetig aktualisierte Klimaprojektionsdaten durch das Climate Data Center frei zur Verfügung. Auch das Climate Service Center Germany (GERICS) bietet prototypische und regionsspezifische Produkte sowie Dienstleistungen für die Klimaanpassung.

Herausforderungen der Lokalen Klimaanpassung

Bei der lokalen Klimaanpassung ist aber auch zu berücksichtigen, dass die jeweiligen Projektionsdaten und Karten auf Modellen basieren und eine Reihe von Unsicherheiten mit sich bringen. Daher ist es wichtig, dass Landesbehörden diese Unsicherheiten und die dazugehörigen Hintergrundinformationen kommunizieren und hierzu beraten. Hier steht das LANUV als Anlaufstelle zur Verfügung. Zudem sollten bei der Entwicklung von Anpassungsmaßnahmen Zivilakteure mit spezifischen Lokalwissen einbezogen werden. Häufig kennen sie die Umgebung mit Gefahren und Potenzialen für die Anpassung besonders gut und können Risiken der Maßnahmen besser abschätzen.

Constanze Schmidt, Wissenschaftliche Referentin für strategische Themenfeldentwicklung Klimaanpassung

Fußnoten

Naturbasierte Lösungen als allrounder im Kampf gegen den Klimawandel

Naturbasierte Lösungen als allrounder im Kampf gegen den Klimawandel

Die Natur hat zahlreiche Talente. Sie beherbergt nicht nur Flora und Fauna, sondern hat auch eine entscheidende Wirkungskraft im Kampf gegen den Klimawandel. In der Zukunft werden naturbasierte Lösungen immer wichtiger, denn sie fördern Klimaresilienz und sind gleichzeitig wichtige Kohlenstoffsenken.

Foto: Madeleine Raabe (Wuppertal Institut) Die Emscher am Phönixsee in Dortmund (2023)

Naturbasierte Lösungen (Nbs) sind “Maßnahmen, die natürliche Prozesse und Eigenschaften von Ökosystemen nutzen, um zentrale gesellschaftliche Herausforderungen, wie z.B. den Klimawandel, zu bewältigen und dabei zugleich erheblichen weiteren ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gewinn bringen” [1]:

  • Sie sind essentiell für den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität: Fruchtbare Böden, saubere Flüsse, Wasser und Luft sind für das Überleben von Mensch und Tier unabdingbar.
  • Sie bringen gleichzeitig erheblichen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gewinn, beispielsweise durch die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Bereichen Landschaftsarchitektur, Bodenpflege, Gartenbau, Agroforstwirtschaft oder auch im Tourismus, der wie kaum ein anderer Wirtschaftssektor auf eine intakte Natur und Umwelt angewiesen ist.
  • Sie unterstützen den Menschen zudem bei der Anpassung an den Klimawandel und extreme Wetterereignisse [2]: Gesunde Böden speichern zum Beispiel Wasser, regulieren den Wasserhaushalt und intakte Flussauen unterstützen den Hochwasserschutz.
  • Die Schaffung von Naturräumen ist gerade auch in städtischen Ballungszentren von größter Bedeutung: Naturnahe Flächen in Städten fördern das menschliche Wohlbefinden, innerstädtische Parks, Flussufer oder Seen sind zudem wichtige Naherholungsräume und Treffpunkte. 
Vorteile von naturbasierten Lösungen - Die Europäische Kommission

Übersicht über die acht Großlandschaften NRWs, Abb. von Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW

Eines der größten Renaturierungsprojekte Europas ist in Nordrhein-Westfalen beheimatet: Der Emscher-Umbau im Herzen des Ruhrgebiets. Zusätzlich zu der wasserwirtschaftlichen und ökologischen Erneuerung des gesamten Flussgebiets wurde bei der Flussrenaturierung auch der Mehrwert für die Stadt- und Freiraumentwicklung, Klimaanpassung, Gesundheit, Biodiversität etc. mitgedacht.[3] Im 19. und 20. Jahrhundert wurde das Flussgebiet den Notwendigkeiten der Industrialisierung untergeordnet und so in seinen Ökosystemdienstleistungen massiv eingeschränkt. Mittlerweile ist die Emscher wieder ein Zuhause für viele Fischarten und an den Ufern leben Vögel, darunter der Eisvogel, der nur an besonders sauberen Gewässern brütet.[4] Der naturbasierte Umbau der Emscher ist eine Erfolgsgeschichte und steht heute stellvertretend und zukunftsweisend für die Möglichkeit eines nachhaltigen Strukturwandels einer ganzen Region.

Relevant auch für den Klimaschutz

Während bei der Anpassung an den Klimawandel die naturbasierten Lösungen im Vordergrund stehen, wird ihre Relevanz für die Speicherung von CO2 oft von den technischen Lösungsansätzen (z. B. Direct Air Capture oder Carbon Capture and Storage) verdrängt. Diese Technologien gelten als entscheidend für den Kampf gegen den Klimawandel und gewinnen zunehmend an Bedeutung, jedoch sind sie in dem Umfang, der für die Erreichung des 1,5 Grad Ziels benötigt wird, noch nicht vorhanden oder schlicht zu teuer und energieintensiv.[5] Auf der Europäischen Ebene werden jedoch auch naturbasierte Lösungen in den letzten Jahren intensiver diskutiert und spielen so zum Beispiel in der Strukturförderung und im European Green Deal eine wichtige Rolle. Aufgrund zahlreicher positiver Nebeneffekte und vergleichsweise günstiger Kosten-Nutzen-Verhältnisse sind naturbasierte Lösungen eine sinnvolle Ergänzung zu technischen Lösungen der Emissionsreduktion.

 

Herausforderungen in der Umsetzung

Besonders wichtig für die Umsetzung ist es, die Menschen in den Regionen und Kommunen als Partner*innen aktiv einzubeziehen: zum Einen diejenigen, die Flächen bewirtschaften und besitzen, zum Anderen die Entscheidungsträger*innen in den Kommunen und Städten, die am Besten einschätzen können, wo die dringendsten Bedarfe und auch Potenziale für die Umsetzung naturbasierter Lösungen liegen. Es ist deshalb sehr wichtig, bei den Maßnahmen für die naturbasierten Lösungen auf Förderung zu setzen, um so finanzielle Anreize für eine freiwillige Umsetzung, auch in NRW, zu schaffen.[6] Die kulturelle Herausforderung, vor der wir stehen, ist allerdings die Wiederentdeckung der Schönheit, Eigenart und Vielfalt der Natur, der auch bei der Debatte um die naturbasierten Lösungen schnell in den Hintergrund tritt. Zwar folgen Natur-, Umwelt- und Klimaschutz immer funktionalen, anthropozentrischen Überlegungen, jedoch sollten diese nicht nur Lösungen in einem engen technologischen Sinn verfolgen, sondern auch kulturelle Werte und unsere emotionalen und ästhetischen Bedürfnisse anerkennen.

 

Madeleine Raabe, Junior Researcherin im Forschungsbereich Energiewende International

Fußnoten

  1. Schubert, D. (2021). Naturbasierte Lösungen in den EU-Strukturfonds in Deutschland 2021—2027 Maßnahmen, Mehrwert und Möglichkeiten, S.3. https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Europa___International/nbs_strukturfonds_bf.pdf
  2. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. (2022). Aktionsplan Natürlicher Klimaschutz. https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Naturschutz/aktionsprogramm_natuerlicher_klimaschutz_2023_bf.pdf 
  3. Schröter, B., Brillinger, M., Gottwald, S., Guerrero, P., Henze, J., Ott, E., Schmidt, S., & Albert, C. (2021). Planung naturbasierter Lösungen in Flusslandschaften. oekom verlag. https://doi.org/10.14512/9783962388485 
  4. Fischer, Katarina. (2022). Emscher-Umbau: Die Rettung des dreckigsten Flusses Deutschlands. National Geographic. https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2022/09/emscher-umbau-die-rettung-des-dreckigsten-flusses-deutschlands .
  5. NABU. (2023). Negative Emissionstechnologien CCU CCS – NABU. https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/forschungspolitik/32419.html.
  6. Schubert, D. (2021). Naturbasierte Lösungen in den EU-Strukturfonds in Deutschland 2021—2027 Maßnahmen, Mehrwert und Möglichkeiten.
“Wicked problems” im urbanen Raum lösen

“Wicked problems” im urbanen Raum lösen

Seit Jahren wird im urbanen Raum alles integriert gedacht: Kommunale Klimaschutz-, Verkehrs- oder Flächenentwicklungskonzepte, Konzepte zur Gesundheitsförderung und zur Arbeitsförderung, Stadtentwicklungskonzepte – um nur einige Beispiele zu nennen. All diese Konzepte erheben den Anspruch, die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen.

Foto: Victor, Unsplash

Foto: Victor auf Unsplash

Seit Jahren wird im urbanen Raum alles integriert gedacht: Kommunale Klimaschutz-, Verkehrs- oder Flächenentwicklungskonzepte, Konzepte zur Gesundheitsförderung und zur Arbeitsförderung, Stadtentwicklungskonzepte – um nur einige Beispiele zu nennen. All diese Konzepte erheben den Anspruch, die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen.

Es geht um Paradigmen

In der Realität ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit oftmals eklatant. Straßen sind hier ein gutes Beispiel. Im Paradigma der autogerechten Stadt werden sie vor allem als Verkehrswege für motorisierte Verkehrsmittel wahrgenommen und geplant. Das hat bekannte Folgen für Klima und Umwelt, aber auch Sicherheit, Gesundheit und Aufenthaltsqualität. Es gibt gute Gründe für Veränderung. Aber ein Paradigma sitzt tief und so ist die Veränderung schleichend, obwohl viele gute Beispiele – nicht zuletzt im NRW-Landeswettbewerb “Zukunft Stadtraum” – zeigen, wie eine zukunftsfähige Gestaltung des öffentlichen Raums aussehen und unterschiedliche Ziele der nachhaltigen Entwicklung gleichzeitig adressieren kann: Der für den Umgang mit dem Klimawandel notwendige Ausbau der blau-grünen Infrastrukturen erfordert zum Beispiel eine Entsiegelung von Straßenraum und damit in Folge eine Reduzierung von Parkraum, die wiederum mittelfristig eine erwartbare Reduktion des Aufkommens an Verkehrswegen mit privaten Pkws zur Folge haben dürfte. Das wiederum schafft Platz, Nahrerholungsqualität und mehr Sicherheit für nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmende sowie reduziert Luftschadstoffe, Emissionen und Verkehrslärm.

Wicked problems

würde man im Deutschen vermutlich “vertrackte” oder “verzwickte” Probleme nennen. So richtig gut lässt sich dieser Begriff jedoch nicht übersetzen und ist daher in seiner englischen Form zum geflügelten Wort geworden. Als “wicked” werden häufig solche Probleme bezeichnet, die sich durch ein hohes Ausmaß an Komplexität auszeichnen. Es ist jedoch genau diese begriffliche Rahmung, die eine Suche nach Lösungen erschweren kann. [1]

Die intelligente und nachhaltige Umgestaltung von öffentlichem Raum kann mit Fug und Recht als “wicked problem” bezeichnet werden: Sie ist gekennzeichnet von vielfältigen Nutzungsansprüchen und Zielvorstellungen, von hoher Komplexität und von Planungsunsicherheit. [1]  Daran scheitert die Idee der normativen, fachlichen, politischen und räumlichen Integration in der Realität bis heute zu oft. Während die fachliche und räumliche Integration oftmals nur im lokalen Einzelfall sinnvoll gestaltet werden kann, muss die normative und politische Integration auf übergeordneter Ebene erfolgen: Es bedarf eindeutiger, langfristig angelegter, politischer Rahmenbedingungen, die im Sinne der nachhaltigen Entwicklung synergieorientierte Systemansätze priorisieren und so Unsicherheiten reduzieren. Hier ist insbesondere die Landesregierung im Rahmen ihrer Raumordnungs- und Landesplanungskompetenz gefragt, die ihr die Möglichkeit gibt, die landesplanerischen Vorgaben systematisch auf Nachhaltigkeit auszurichten. [2]

Dr. Steven März, Senior Researcher
im Forschungsbereich Stadtwandel

Fußnoten

  1. Schwedes, Oliver und Alexander Rammert (2020): “Was ist Integrierte Verkehrsplanung?
    Hintergründe und Perspektiven einer am Menschen orientierten Planung” , IVP Discussion Paper Nr. 2020 (2), online unter: http://hdl.handle.net/10419/218899 (zuletzt aufgerufen am 08.03.2023).
  2. Goppel, Konrad (2018): “Landesplanung, Landesentwicklung”, in: ARL – Akademie der Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung, S. 1307-1322, online unter: https://www.arl-net.de/system/files/media-shop/pdf/2023-01/Landesplanung%2C%20Landesentwicklung.pdf (zuletzt aufgerufen am 08.03.2023).

Luftqualität: Neue Leitlinien und Zahlen

Luftqualität: Neue Leitlinien und Zahlen

Diagramm: Vergleich der Empfehlungen der WHO zu Grenzwerten für Luftschadstoffe und den gesetzlichen Vorgaben nach europäischem und deutschem Recht

Eigene Zusammenstellung, Stand März 2022

Am 22. September 2021 hat die Welt­gesundheits­organisation (WHO) – mehr als 15 Jahre nach der letzten Veröffentlichung – aktualisierte globale Luftgüteleitlinien vorgestellt. Auf Basis einer systematischen Bestandsaufnahme der derzeit vorliegenden Erkenntnisse bezüglich der negativen Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit korrigiert, die WHO darin ihre bisher bestehenden Luftqualitäts­leitwerte deutlich nach unten. Nach den Erkenntnissen der WHO geht eine Überschreitung dieser neuen Leitwerte mit erheblichen Risiken für die Gesundheit einher, da bereits geringere Luftschadstoffkonzentrationen als bisher angenommen, gesundheitliche Schäden hervorrufen können.[1] 

Deutlich drüber

Schon die Empfehlungen der WHO für Grenzwerte von 2005 waren deutlich niedriger als die gesetzlichen Vorgaben in Deutschland und der EU. Dieser Unterschied verschärft sich mit der Aktualisierung der WHO Empfehlungen noch einmal deutlich.

Sechs Luftschadstoffe im Fokus

Die sechs adressierten Luftschadstoffe dieser neuen Luftgüteleitlinie sind Feinstaub (PM2,5 und PM10), Ozon (O3), Stickstoffdioxid (NO2), Schwefeldioxid (SO2) und Kohlenmonoxid (CO). So empfehlen die aktualisierten Luftgüteleitlinien der WHO eine mittlere jährliche Luftschadstoffkonzentration von max. 5 µg/m³ bzw. 15 µg/m³ für PM2,5 bzw. PM10 sowie von max. 10 µg/m³ für Stickstoffoxid. Weiterhin wird für Ozon eine mittlere Konzentration von max. 60 µg/m³ während der Sommermonate, für Schwefeldioxid eine mittlere Tageskonzentration von max. 40 µg/m³ sowie für Kohlenmonoxid eine mittlere Tageskonzentration von max. 4 µg/m³ empfohlen.

Europäische und deutsche Luftreinhaltepolitik

Die Empfehlungen dieser verschärften Luftgüteleitlinien sind nicht rechtsverbindlich, dennoch sehen darin verschiedene Expert*innen eine Chance, die europäische und globale Luftreinhaltepolitik – auch im Hinblick auf die anstehende Novellierung der Luftqualitätsrichtlinie der Europäischen Kommission – maßgeblich zu beeinflussen.[2] Im Sinne einer Änderung der europarechtlichen Vorgaben hinsichtlich einer Verschärfung der Grenzwerte sollte auch über eine Anpassung des strategischen Ziels zur Verbesserung der Luftqualität der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes NRW eruiert werden. Darin wird bisher die sichere Einhaltung der europarechtlichen Grenzwerte bezüglich der Indikatoren PM2,5-, PM10- und Stickstoffdioxidkonzentration als konkretes Ziel benannt. Diese liegen allerdings mit Grenzwerten von 40 µg/m³ für PM2,5, 25 µg/m³ für PM10 sowie 40 µg/m³ für Stickstoffdioxid deutlich über den aktualisierten Empfehlungen der WHO.

Charlotte Thelen, Wissenschaftliche Hilfskraft im 
Forschungsbereich Mobilität und Verkehrspolitik

Fußnoten

  1. 2 Weltgesundheitsorganisation (22.09.2021): „Neue globale Luftgütelinien der WHO sollen Millionen von Menschenleben vor Luftverschmutzung retten“, Pressemitteilung, online unter: www.euro.who.int. https://www.euro.who.int/de/media-centre/sections/ press-releases/2021/new-who-global-air-quality-guidelines-aim-to-save-millions-of-lives-from-air-pollution (zuletzt aufgerufen am 21.12.2021).
  2. Umweltbundesamt (22.09.2021): „Stellungnahme: WHO-Luftqualitätsleitlinien 2021“, online unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/stellungnahme-who-luftqualitaetsleitlinien-2021 (zuletzt aufgerufen am: 21.12.2021).