Mehr Suffizienz wagen – so gelingt Klimaschutz für alle

Mehr Suffizienz wagen – so gelingt Klimaschutz für alle

Suffizienz ist die Strategie des rechten Maßes für Konsum und Produktion. Technische Klimaschutzmaßnahmen allein verfehlen ohne sie ihr Ziel. Suffizienz stellt für das Industrieland Nordrhein-Westfalen eine besondere Chance und Herausforderung dar.

Menschen sitzen auf einer großen Wiese in einem Park und schauen in den Sonnenuntergang.

Foto von Leah Kelley auf Pexels

Suffizienz hat das Potenzial, die Energiewende und die Transformation der Wirtschaft zu ermöglichen. Nach aktuellen Suffizienzszenarien kann durch eine entsprechende, politische Rahmengebung die Energienachfrage bis zur Mitte des Jahrhunderts um 14 bis 25 Prozent reduzieren. Das ist auch dringend nötig, denn der Weltklimarat IPCC [1] und der deutsche Expertenrat für Klimafragen (EKR) [2] sind sich einig: Ohne Suffizienz bzw. “Aktivitätsreduktion” ist die Einhaltung der Klimaziele gefährdet. Suffizienz ist außerdem möglich, denn im Jahr 2022 haben Verbraucher*innen, Unternehmen und die öffentliche Hand ohne ad hoc fast ein Viertel des Gasverbrauchs eingespart. [3] Es bedarf aber keiner weiteren, geo- und friedenspolitischen Katastrophen, um suffizientes Verhalten nicht nur zu ermöglichen, sondern sogar zur attraktivsten Lösung zu machen: Kopenhagen zeigt seit langem, dass eine herausragende Infrastruktur den Umstieg auf das Fahrrad zur sinnvollsten Lösung macht. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag der Bundesregierung [4] greift erste, kleinteilige Suffizienzmaßnahmen auf (z. B. im Kontext von Online-Handel und Werbung). Suffizienz sollte dabei auf keinen Fall missverstanden werden – es geht nicht darum, Bedürfnisse zu beschneiden und das Leben komplizierter zu machen, als es heute schon ist. Es geht im Gegenteil darum, einfache und (energie-)sparsame Formen zu finden, wie alltägliche Bedürfnisse wie Mobilität und Wohnen befriedigt werden können. Einschränkungen von Konsumhandlungen sollten ohnehin erst dann erfolgen, wenn attraktive Alternativen verfügbar sind.

Suffizienz

liegt zwischen Exzess und der Befriedigung von Grundbedürfnissen

Am Wuppertal Institut definieren wir Suffizienz als Strategie zur Reduktion von Konsum- und Produktionsniveaus durch die Veränderungen sozialer Praktiken. Ziel ist, einerseits durch Vermeiden von Exzess und Überfluss ökologische Grenzen einzuhalten und andererseits allen Menschen die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zu ermöglichen 

Suffizienz ist mehr als individuelles Verhalten: die Politik setzt den Rahmen

Ärmere Menschen leben häufig an vielbefahrenen Straßen [5] und in überbelegten Wohnungen [6]. Daher zählen sie zu den Profiteur*innen von Suffizienzpolitik, wenn diese gerecht gemacht wird. Sie profitieren, wenn sich durch suffizientes Mobilitätsverhalten das motorisierte Verkehrsaufkommen verringert und durch kluge Wohnraumpolitik [7] der Wohnraum bedürfnisorientiert verteilt wird.

In politischen Prozessen gibt es für Suffizienz unzählige Stellschrauben, darunter zum Beispiel:

  • Große Wohnungsunternehmen in wachsenden Städten NRWs könnten eine Mindestbelegungsquote im Bestand einführen, wie es sie z. B. in Zürich gibt. [8]
  • Eine Mehrwertsteuersenkung auf pflanzliche Grundnahrungsmittel, kann die Portemonnaies der Bürger*innen entlasten.
  • Werbeverbote für klimaschädliche Produkte wie SUV und Kreuzfahrten können den Energieverbrauch und Ressourcenbedarf ebenfalls senken.

Nordrhein-Westfalen kann Vorreiter der Suffizienzstrategie werden

Suffizienz als politische Strategie ist in Nordrhein-Westfalen aufgrund der vergleichsweise hohen Siedlungsdichte und des Energieverbrauches besonders wichtig, um Flächen zu sparen und die Transformation zu 100 % erneuerbaren Energien zu schaffen. Die Gesellschaft in NRW kann noch viel tun, um weniger Energie zu verbrauchen – und überhaupt zu benötigen.

Zukunftsimpuls:

Suffizienzpolitik als Booster zum Erreichen der Klimaschutzziele

Der aktuelle Zukunftsimpuls der Wuppertal Instituts zeigt, dass Suffizienzstrategien und -politik den Wandel bringen können – bei Konsum, Gebäuden, Verkehr, Kreislaufwirtschaft und Energie. Sie können ihn auf der Institutswebseite herunterladen.

Aber wie kann ein sinkender Konsum mit wirtschaftlichem Erfolg kombiniert werden? In NRW gibt es dafür vielversprechende Ansatzpunkte. Vielleicht wird NRW in Zukunft “Export-Weltmeister” im Umbauen, Sanieren, Reparieren, und urbanen Produzieren? Die Kreislaufwirtschaft kann ein Einstiegspunkt in die Suffizienzdiskussion sein, denn fünf der neun Circular Economy-Strategien[9], der sogenannten R-Strategien, sind praktisch Suffizienz bzw. haben Suffizienzanteile – „Refuse“, „Rethink“, „Reduce“, „Reuse“ und „Repair”. Die räumliche Nähe von Schlüsselakteuren einer Kreislaufwirtschaft ist definitiv eine der Stärken von NRW. Die Etablierung einer erfolgreichen Kreislaufwirtschaft bietet das Potenzial, Suffizienz aus der “Verzichtsschublade” herauszuholen. Ein weiteres Leitbild für eine suffizienzkompatible Wirtschafts- und Produktionsweise wurde im Bergischen Städtedreieck unter dem Stichwort „Neue Urbane Produktion“ [10] entwickelt. Neue Urbane Produktion beschreibt gemeinwohlorientierte Produktionsstätten, welche Güter nutzer*innen-nah herstellen und/oder bearbeiten sowie überwiegend lokale Ressourcen und/oder Wertschöpfungsketten nutzen.

Dr. Benjamin Best, Senior Researcher
im Forschungsbereich Strukturwandel und Innovation

Fußnoten

  1. IPPC (2022): „Climate Change 2022, Mitigation of Climate Change, Summary for Policymakers“, online unter: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg3/downloads/report/IPCC_AR6_WGIII_SPM.pdf.
  2. Expertenrat für Klimafragen (2023): „Stellungnahme zum Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023“, online unter: https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2023/09/ERK2023_Stellungnahme-zum-Entwurf-des-Klimaschutzprogramms-2023.pdf.
  3. Ruhnau, O., Stiewe, C., Muessel, J. et al. (2023): „Natural gas savings in Germany during the 2022 energy crisis“, online unter: https://www.nature.com/articles/s41560-023-01260-5.
  4. SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP (2021): „Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP“, online unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/gesetzesvorhaben/koalitionsvertrag-2021-1990800.
  5. Umweltbundesamt (2023): „Umweltgerechtigkeit – Umwelt, Gesundheit und soziale Lage“, online unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse-auf-den-menschen/umweltgerechtigkeit-umwelt-gesundheit-soziale-lage#umweltgerechtigkeit-umwelt-gesundheit-und-soziale-lage.
  6. Eurostat (2023): „Overcrowding rate by age, sex and poverty status – total population – EU-SILC survey“, online unter: https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/ILC_LVHO05A__custom_8530615/default/table?lang=en.
  7. Bierwirth A., Buschka, M. (2023): „Wohnraumsuffizienz ermöglichen“, online unter: https://nachhaltigkeitsradar.nrw/wohnraumsuffizienz-ermoeglichen.
  8. Heintze, D. (2023): „Niemand redete von Umzugszwang…“, online unter: https://chrismon.evangelisch.de/kolumnen/wohnlage/wieso-die-pflicht-zum-wohnungstausch-in-zuerich-gerecht-ist.
  9. Deutsches Institut für Normung (o. A.): „Modell der R-Strategien“, online unter: https://www.din.de/de/forschung-und-innovation/themen/circular-economy/normenrecherche/modell-der-r-strategien.
  10. „Neue Urbane Produktion“, online unter: https://www.din.de/de/forschung-und-innovation/themen/circular-economy/normenrecherche/modell-der-r-strategien.
Extreme Hitze: Eine Herausforderung für Mensch und System

Extreme Hitze: Eine Herausforderung für Mensch und System

Mit einer Zunahme an Extremwetterereignissen steigt die Frequenz von Hitzewellen sowie ihre Intensität und verschärft die Auswirkungen auf die Bevölkerung und Gesundheit.

Weiblich gelesene Person gibt Kind eine Flasche Wasser

Foto von Ketut Subiyanto auf Pexels

Im vergangenen Jahr 2022 hat es in Nordrhein-Westfalen im Gebietsmittel 17,7 Hitzetage gegeben. [1] Ein Hitzetag wird definiert als “[…] ein Tag, an dem das Maximum der Lufttemperatur ≥ 30°C beträgt”. [2] Selbst optimistische Prognosen, die eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5-Grad erwarten, deuten auf eine Zunahme von Hitzetagen hin. Heute leben bereits 40 % der Menschen in NRW in thermisch ungünstigen oder sehr ungünstigen Situationen. Bis 2050 könnte sich die Zahl auf 80 % erhöhen. [3] Ein besonders Hitze-bedingtes Gesundheitsrisiko besteht vor allem für Kinder, alte Menschen, sozial isolierte Menschen sowie Menschen mit Vorerkrankungen.

8.173

hitzebezogene Todesfälle in Deutschland im Sommer 2022

Mit 8.173 hat Deutschland in Europa die drittmeisten hitzebezogenen Todesopfer im Sommer 2022 zu beklagen. [5] Europaweit starben über 60.000 Menschen aufgrund von Hitze. Dabei sorgt die Hitze häufig bei vulnerablen Gruppen für eine zusätzliche körperliche Belastung. 

Hitze als Herausforderung für die Gesundheit

Extreme Hitze kann eine Reihe von gesundheitlichen Beschwerden hervorrufen. Denn um den Körper abzukühlen, muss das Herz einen erhöhten Aufwand betreiben und durch eine erhöhte Blutzirkulation kann es zu einem geringen Blutdruck kommen. Hitzewellen können zu Herz-Kreislauferkrankungen, Einschränkung von kognitiven Funktionen und von Organen führen, psychische Belastungen nach sich ziehen, einen Kreislaufkollaps verursachen und letztlich im Falle eines Hitzschlags bis zum Tode führen. Zusätzlich wird in Folge von Hitzewellen die Luftverschmutzung (bspw. Ozon- und Pollenbelastung) verstärkt, was eine erhöhte Belastung für die menschliche Gesundheit bedeuten kann. Entsprechend kann es während Hitzewellen zu einer Vielzahl an akuten Versorgungs(not)fällen kommen, die das Gesundheitssystem zusätzlich stark belasten können. [4]

Maßnahmen sind unabdingbar: Überlastung verhindern, Menschen schützen

Zur Minderung der Risiken für die menschliche Gesundheit und zur Stärkung der Resilienz des Gesundheitssystems sind eine Reihe von Maßnahmen gefragt. Kommunale Hitzeaktionspläne, Aufklärungskampagnen und eine klimaangepasste städtische Planung (bspw.: klimaresiliente Gebäude, Grünflächen oder Trinkwasserbrunnen) sind wichtige Bausteine zur Verringerung von Risiken. Hierbei ist die Einbeziehung von Vertreter*innen des Gesundheitssektors relevant. [6] Neben der Stärkung der medizinischen Versorgung bedarf es gleichzeitig einer flächendeckenden Erfassung der Hitze-bedingten gesundheitlichen Auswirkungen. Wissen über temperatursensible Erkrankungen können den ambulanten und stationären Sektor bei Diagnosen unterstützen, während alltagsnahe Anpassungsstrategien und wissenschaftlich fundierte Weiterbildungskonzepte beispielsweise in Hausarztpraxen inmitten von Hitzewellen einen verbesserten Gesundheitsschutz gewährleisten können. [7] Mit präventiven Maßnahmen und dem Gewinnen von vertieftem Wissen über die Zusammenhänge von extremer Hitze und deren Auswirkungen auf den menschlichen Körper sowie vorhandene Vorerkrankungen können das Gesundheitssystem und die Menschen in NRW besser vor den Folgen des Klimawandels geschützt werden.

Tim Heßler, studentische Hilfskraft
im Forschungsbereich Stadtwandel

Dieser Beitrag für den Nachhaltigkeitsradar wurde auf Basis der kürzlich publizierten “Explorationsstudie Klimawandel und Gesundheit” des Wuppertal Instituts geschrieben, die im Auftrag der BARMER erstellt wurde. Diese gibt einen breiten Überblick über mögliche gesundheitliche Folgen des Klimawandels. Die Autor*innen Markus Kühlert und Martina Schmitt waren in der Rolle der Qualitätssicherung an diesem Beitrag beteiligt.

Fußnoten

  1. Deutscher Wetterdienst, (2023): „Klimastatusbericht Deutschland Jahr 2022“, online unter: https://www.dwd.de/DE/leistungen/klimastatusbericht/publikationen/ksb_2022.pdf?__blob=publicationFile&v=5.
  2. Deutscher Wetterdienst, (o. D.): „Heißer Tag. Wetter- und Klimalexikon“, online unter: https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?lv3=101162&lv2=101094 (zuletzt aufgerufen am 06.11.2023).
  3. Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, (2028): „Klimaanalyse NRW. LANUV-Fachbericht 86“, online unter: https://www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuvpubl/3_fachberichte/Fachbericht_86-Klimaanalyse_web-gesichert.pdf.
  4. Schmitt, M., Kühlert, M., Baedecker, C., (2023): „Explorationsstudie Klimawandel und Gesundheit: Studie im Auftag der BARMER“, online unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/index/index/docId/8335.
  5. Ballester, J., Quijal-Zamorano, M., Méndez Turrubiates, R.F. et al.,  (2023): „Heat-related mortality in Europe during the summer of 2022“, online unter: https://doi.org/10.1038/s41591-023-02419-z.
  6. Matthies-Wiesler, F. et al., (2021): „he Lancet Countdown for Health and Climate Change – Policy Brief für Deutschland 2021“, online unter: ttps://www.klimawandel-gesundheit.de/wpcontent/uploads/2021/10/20211020_Lancet-Countdown-Policy-Germany2021_Document_v2.pdf.
  7. Schmitt, M., Kühlert, M., Baedecker, C., (2023): “Explorationsstudie Klimawandel und Gesundheit: Studie im Auftrag der BARMER”, onlune unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/index/index/docId/8335.
Klima-Angst: Die emotionale Herausforderung der Klimakrise

Klima-Angst: Die emotionale Herausforderung der Klimakrise

Hitzerekorde, Waldbrände, Flutkatastrophen – Der Klimawandel ist längst keine abstrakte Bedrohung mehr. Mit der Erfahrbarkeit kommt zunehmend auch die “Klima-Angst”. Was steckt dahinter? Und wie gehen wir damit um?

Holzfliesen buchstabieren das Wort "anxiety".

Foto von Suzy Hazelwood auf Pexels

“I want you to panic! I want you to feel the fear I feel every day and then I want you to act!“ Mit diesen Worten hat die Klimaaktivistin Greta Thunberg auf dem Weltwirtschaftsforum 2019 in Davos “Climate Anxiety”, zu deutsch “Klima-Angst”, zu einem Bestandteil des öffentlichen Klimadiskurses gemacht. Neben der zunehmenden medialen Verbreitung begann in den letzten Jahren eine verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff der Klima-Angst. 2022 thematisierte auch der IPCC erstmals die Auswirkungen der Klimakrise auf die menschliche Psyche.[1]

Was ist Klima-Angst

Klima-Angst kann definiert werden als „Angst, die in erheblichem Zusammenhang mit dem anthropogenen Klimawandel steht“[2]. Mit einer Angststörung hat das in erster Linie nichts zu tun. Pathologische Klima-Angst ist äußerst selten. Vielmehr ist sie eine verständliche und vernünftige – und im Sinne des Klimaschutzes auch notwendige – emotionale Reaktion auf eine Bedrohung.[3] Konkret kann diese Reaktion jedoch sehr unterschiedlich ausfallen: Sie kann zu einer Leugnung, Vermeidung oder Verharmlosung der Klimakrise führen oder im schlimmsten Fall zu einem Freeze-Zustand, einem dysfunktionalen Zustand des Erstarrens.[4] Angst kann sich aber durchaus auch positiv auf das Engagement für den Klimaschutz auswirken. So weisen neuere Forschungsergebnisse darauf hin, dass Klima-Angst eine motivierende Funktion hat und individuelles Handeln fördert.[5]

Wer hat (keine) Angst vor Klimawandel?

Potentiell können alle Menschen, die sich der Klimakrise bewusst sind, Klima-Angst verspüren. Sie kann durch direktes Erleben eines Umweltproblems infolge des Klimawandels ausgelöst werden, wie beispielsweise durch das Miterleben des Jahrhundert-Hochwassers im Ahrtal im Juli 2021. Aber auch ohne unmittelbare Betroffenheit kann sich Klima-Angst, insbesondere durch die medial gestützte Klimakommunikation aktueller Ereignisse und wissenschaftlicher Erkenntnisse zu zukünftigen Entwicklungen, indirekt manifestieren.[6]

73 % 

der Jugendlichen geben an, Angst vor den Folgen des Klimawandels zu haben.

Klima-Angst ist ein immer größer werdendes Problem, vor allem bei jungen Menschen. Laut einer repräsentativen Befragung von 1.010 jungen Menschen in Deutschland im Alter von 14 bis 22 Jahren stimmen 33% der Aussage “Vor den Folgen des Klimawandels habe ich Angst.” voll und ganz zu.[7]

Bestimmte Personengruppen könnten dabei potentiell mehr oder weniger anfällig für Klima-Ängste sein. So ist Klima-Angst vor allem bei jungen Menschen weit verbreitet. Bisherige Studienergebnisse sind allerdings inkonsistent und lassen so noch keine generalisierbaren Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger*innen zu.

Wie umgehen mit der Klima-Angst?

Klar ist, dass der Klimawandel ein kollektives Problem bleibt, auch wenn Klima-Angst sich individuell äußert.[8] Für den gesellschaftlichen Umgang mit der Klimakrise könnte aber ein besseres Verständnis dieser individuellen, emotionalen Reaktion entscheidend sein: Sind bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker, andere weniger stark betroffen? Gibt es regionale Unterschiede und wodurch werden sie determiniert? Welchen Einfluss hat das Vorhandensein oder das Fehlen der Angst vor den Folgen des Klimawandels auf Lebensstile, Wahlentscheidungen oder die Akzeptanz ambitionierter Klimaschutzpolitik? Hier steht die Forschung noch ganz am Anfang.[9] Es ist zudem eine naheliegende Annahme, dass gerade die Nachhaltigkeitskommunikation aus solchen Erkenntnissen wesentlich über ihre Zielgruppen dazulernen könnte. Denn es ist wichtig, dass Klimakommunikator*innen Emotionen jeglicher Art erst nehmen, ohne sie zu instrumentalisieren.[10]

Sina Diersch, Junior Researcherin
im Forschungsbereich Stadtwandel

Fußnoten

  1. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, 2022): “Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change”, online unter: https://doi.org/10.1017/9781009325844 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  2. Pikhala, P. (2020): “Anxiety and the ecological crisis: an analysis of eco-anxiety and climate anxiety”, in: Sustainability 12(19): 7836, S. 3, online unter: https://doi.org/10.3390/su12197836 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  3. Heinzel, S. (2022): “Klima-Angst. Eine angemessene Reaktion auf eine maßlose Krise?”, in: Climate Emotions. Klimakrise und psychische Gesundheit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG, Gießen, S.132, online unter: https://doi.org/10.30820/9783837978667 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  4. Leuser, L.; Weiss, D. (2020):“Veränderungen berühren alle – Die Rolle von Emotionen in Nachhaltigkeitstransformationen”, S.14, online unter: https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/veraenderungen-beruehren-alle-die-rolle-von (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  5. u.a. Whitmarsh, L., Player, L., Jiongco, A., James, M., Williams, M., Marks, E., Kennedy-Williams, P. (2022): “Climate anxiety: What predicts it and how is it related to climate action?”, online unter: https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2022.101866 (zuletzt aufgerufen am 25.07.2023).
  6. Heinzel, S. (2022): “Klima-Angst. Eine angemessene Reaktion auf eine maßlose Krise?”, in: Climate Emotions. Klimakrise und psychische Gesundheit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG, Gießen, S.131, online unter: https://doi.org/10.30820/9783837978667 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  7. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) (2022): “Zukunft? Jugend fragen! – 2021. Umwelt, Klima, Wandel – was Junge Menschen erwarten und wie sie sich engagieren”, online unter: https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/zukunft_jugend_fragen_2021_bf.pdf (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  8. Heinzel, S. (2022): “Klima-Angst. Eine angemessene Reaktion auf eine maßlose Krise?”, in: Climate Emotions. Klimakrise und psychische Gesundheit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG, Gießen, S.140, online unter: https://doi.org/10.30820/9783837978667 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  9. Wullenkord, M.C., Tröger, J., Hamann, K.R.S. et al. (2021): “Anxiety and climate change: a validation of the Climate Anxiety Scale in a German-speaking quota sample and an investigation of psychological correlates”, in: Climatic Change 168, 20, online unter: https://doi.org/10.1007/s10584-021-03234-6 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
  10. Schrader, C. (2022): “Über Klima sprechen. Das Handbuch”, oekom verlag, München, S.259ff. online unter: https://doi.org/10.14512/9783962389314 (zuletzt aufgerufen am 18.07.2023).
Local Heroes: Informationen für eine wirkungsstarke Klimaanpassung auf lokaler Ebene

Local Heroes: Informationen für eine wirkungsstarke Klimaanpassung auf lokaler Ebene

Lokale Klimafolgenanpassung kann besonders effektiv sein, wenn sie an die entsprechenden räumlichen Bedingungen angeglichen ist. Doch hierzu werden orts- und themenspezifische Informationen benötigt. Auch das Lokalwissen und die entsprechenden (Modell)Unsicherheiten sind hierfür zu berücksichtigen.

grüne Stadt

Foto von cuttersnap auf Unsplash

Wie kann eine Kommune mehr zum UV-Schutz ihrer Bevölkerung beitragen? Wie kann ein Waldbestand am Niederrhein möglichst klimastabil und standortgerecht angepasst werden? Und wie kann das Weserbergland seinen ökologischen Wasserzustand aufrechterhalten?
Um diese unterschiedlichen Fragen zu beantworten und sich effektiv an die Klimawandelfolgen anpassen zu können, brauchen Entscheidende spezifische Informationen, die stark vom Anpassungsfall und der jeweiligen örtlichen Begebenheit abhängen. Folgende Fragestellungen sind dabei relevant:

  1. Soll die Anpassung auf Ebene von Gemeinden, Landkreisen, Kommunen oder Regionen stattfinden?
  2. Was sagen die Klimaprojektionen für die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten voraus?
  3. Was sind die jeweiligen ortsspezifischen Risiken, die Karten nicht abbilden?

NRW besitzt acht klimatische Großlandschaften

Die Folgen des Klimawandels äußern sich je nach naturräumlichen Gegebenheiten unterschiedlich in NRW. So hat das Land NRW acht unterschiedliche klimatische Großlandschaften. Eine Unterteilung mit entsprechenden Factsheets findet sich hier.
Während die Klimaprojektionen beispielsweise für das Bergische -, Sieger- und Sauerland eine Zunahme des Niederschlags angeben, ist für das Niederrheinische Tiefland und die Bucht eine stärkere Hitzebelastung in den Ballungsräumen zu erwarten. Auf die Klimaanpassung im Wald, aber auch auf Städte und Gewässer haben diese regionsspezifischen Unterschiede durch Topographie und Landnutzung einen Einfluss. Daher ist es für Entscheidende zunächst hilfreich, die klimatischen Informationen der jeweiligen Großlandschaft zu kennen.

Übersicht über die acht Großlandschaften NRWs

Übersicht über die acht Großlandschaften NRWs, Abb. von Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW

Hilfreiche Informationen für eine wirkungsstarke lokale Klimaanpassung

Um Informationen zu spezifischen Themen und Ortschaften in NRW zu erhalten, können Entscheidende den Klimaatlas des LANUV frei nutzen. Er stellt vielfältige Karten mit Informationen zu Klima, menschlicher Gesundheit, Konzepten zur Klimaanpassung, Gründachkataster, etc. zur Verfügung. Waldbesitzende und Förster*innen finden zudem gesonderte Informationen auf waldinfo.nrw.

Entscheidende für kleine oder mittelgroße Städte können sich online auf dem Informationsportal Klimaanpassung in Städten (INKAS) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zur Stadtentwicklung beraten lassen. Darüber hinaus stellt der DWD stetig aktualisierte Klimaprojektionsdaten durch das Climate Data Center frei zur Verfügung. Auch das Climate Service Center Germany (GERICS) bietet prototypische und regionsspezifische Produkte sowie Dienstleistungen für die Klimaanpassung.

Herausforderungen der Lokalen Klimaanpassung

Bei der lokalen Klimaanpassung ist aber auch zu berücksichtigen, dass die jeweiligen Projektionsdaten und Karten auf Modellen basieren und eine Reihe von Unsicherheiten mit sich bringen. Daher ist es wichtig, dass Landesbehörden diese Unsicherheiten und die dazugehörigen Hintergrundinformationen kommunizieren und hierzu beraten. Hier steht das LANUV als Anlaufstelle zur Verfügung. Zudem sollten bei der Entwicklung von Anpassungsmaßnahmen Zivilakteure mit spezifischen Lokalwissen einbezogen werden. Häufig kennen sie die Umgebung mit Gefahren und Potenzialen für die Anpassung besonders gut und können Risiken der Maßnahmen besser abschätzen.

Constanze Schmidt, Wissenschaftliche Referentin für strategische Themenfeldentwicklung Klimaanpassung

Fußnoten

Wohnraumsuffizienz ermöglichen

Wohnraumsuffizienz ermöglichen

Durch die steigende Wohnfläche pro Person treiben wir den Flächen- und Energieverbrauch weiter an. Mit Wohnraumsuffizienz im Gebäudebestand können wir nicht nur unseren Ressourcenverbrauch senken, sondern schaffen auch mehr (bezahlbaren) Wohnraum.

Foto: Anja Bierwirth

Nach Berlin, Hamburg und Bremen gehört Nordrhein-Westfalen zu den Bundesländern mit der höchsten Bevölkerungsdichte [1], jede zweite Gemeinde wächst, aber auch ein Bevölkerungsrückgang ist in vielen Regionen zu erkennen.[2] Besonders in den wachsenden Städten NRWs ist oder wird bezahlbarer Wohnraum Mangelware. Um dem entgegenzuwirken, erscheint mehr Wohnraum zu schaffen als einfachste Lösung. Doch wie lässt sich das mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung vereinbaren? Schon jetzt verfehlen wir diese Ziele jedes Jahr für den Gebäudesektor.[3] Auch zeigen die zahlreichen Verschärfungen der Effizienzstandards keine Wirkung, insoweit, dass der Gesamtenergieverbrauch von Wohngebäuden nicht sinkt.[4]

Warum erreichen wir unsere Klimaziele im Gebäudesektor nicht?

Ein wesentlicher Grund für den steigenden Energieverbrauch ist die kontinuierlich steigende Wohnfläche pro Person.[5] Personen in NRW (und darüber hinaus) leben zunehmend in Single-Haushalten[6], entweder alleine in Wohnungen oder in Wohnhäusern. Dies führt zwangsläufig zu einem höheren Flächenbedarf pro Kopf als in Mehrpersonenhaushalten. Denn viele Gemeinschaftsflächen, wie z.B. Küche, Bad oder Wohnzimmer werden allein genutzt.

46,3 Quadratmeter,

pro Person bewohnen Menschen in 2021 in NRW im Schnitt.[7]

Das ist ein Quadratmeter weniger als der Bundesdurchschnitt und 11,7 Quadratmeter oder ein Schlafzimmer pro Person mehr als noch 1991.[8] Erklärung für diesen steigenden Bedarf an Wohnfläche pro Person finden sich viele. Zum Beispiel trifft ein kontinuierlich ein steigender Anteil an Haushalten mit Ein- und Zwei-Personen auf einen Wohnungsmarkt, der auch in NRW verhältnismäßig wenige Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen bereithält.

Wie schaffen wir mehr Wohnraum und gleichzeitig Klimaneutralität?

Ein hohes Potenzial an Wohnraum lässt sich im Gebäudebestand, also auch in der Art unseres Wohnens finden. Gemeinschaftliches Wohnen gilt als eine Möglichkeit, Einsparungen der individuellen Wohnkosten für Miete, Energie und Ausstattung mit sozialen und ökologischen Vorteilen für die Gesellschaft zu verbinden. Wohnt man alleine in einem zu groß gewordenen Haus, muss es aber nicht immer die Wohngemeinschaft sein. Oft ist es auch möglich, durch Umbau mehrere Wohneinheiten zu schaffen, sodass Einfamilienhäuser zu Mehr-Personen-Häusern werden. Wohnraummangel kann aber auch ein Organisationsproblem sein, welches zum Beispiel durch Wohnungstausch gelöst werden kann. So können wachsende Haushalte auf der Suche nach größerem bezahlbarem Wohnraum von unterbelegten Wohnraum profitieren und umgekehrt.

Wie lässt sich mehr Suffizienz im Wohnen umsetzen?

Im Falle eines Umzugs in eine kleinere Wohnung oder beim Wohnungstausch kann es dazu kommen, dass der neue Mietvertrag mit höheren Kosten verbunden ist. Dazu gibt es in der Mieterschutzverordnung zwar die    10 % Grenze, diese orientiert sich aber an den immer weiter steigenden ortsüblichen Mietpreisen.[9] Hilfreicher wäre es, Möglichkeiten zu bieten, welche die Mitnahme der Nettokaltmiete bei Umzug garantieren, wie es bereits einige Wohnungsunternehmen machen.[10] Noch wirkungsvoller könnte ein Wohnungstauschrecht sein, ähnlich zum Mietrechtsgesetz in Österreich, bei dem die jeweiligen Verträge übernommen werden.[11]

Trotz hoher Bevölkerungsdichte hat auch NRW regional mit hohen Leerstandsquoten zu kämpfen.[12] [13] Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Strukturförderung sollten die vorhandenen Leerstandspotenziale vorrangig ausgeschöpft werden, bevor über Neubau von Wohnungen bzw. Ausweisung von neuen Wohngebieten nachgedacht wird. Zusätzlich ließe sich die Neuausweisung von Wohngebieten durch ein Flächenmoratorium begrenzen.[14]

Beratungs- und Förderangebote bieten weitere Potenziale. So können zentrale Anlaufstellen zu Wohnraumberatung, zur Vermittlung von Mitbewohner*innen oder Wohnungstauschbörsen die Umsetzung von flächensparenden Wohnformen antreiben. Darüber hinaus können Kommunen mit Förderprogrammen wie z.B. einer Beratungsprämie zur Aktivierung des Gebäudebestandes[15] vom Land unterstützt werden. Wohnraumsuffizienz ist sicherlich kein Allheilmittel für den Schutz des Klimas und die Umsetzung des Rechts auf angemessenen Wohnraum für alle, aber mit der entsprechenden, politischen Rahmengebung kann dieser Ansatz positive (Wechsel-)Wirkungen mit ganz unterschiedliche Zielbereichen der nachhaltigen Entwicklung Nordrhein-Westfalens auslösen.

Michael Buschka, Junior Researcher im Forschungsbereich Stadtwandel

Anja Bierwirth, Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel

Fußnoten

  1. Statistisches Bundesamt. (2022): “Bevölkerungsdichte in Deutschland nach Bundesländern zum 31. Dezember 2021 (Einwohner je km2)”, online unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1242/umfrage/bevoelkerungsdichte-in-deutschland-nach-bundeslaendern/ (zuletzt aufgerufen am: 26.04.23
  2. Demografieportal. (2022): “Regionale Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen”, online unter: https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/bevoelkerungsentwicklung-regional-nordrhein-westfalen.html (zuletzt aufgerufen am 04.05.2023)
  3. UBA. (2023): “UBA-Prognose: Treibhausgasemissionen sanken 2022 um 1,9 Prozent”, online unter: https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/uba-prognose-treibhausgasemissionen-sanken-2022-um (zuletzt aufgerufen am 26.04.23)
  4. UBA. (2022). Endenergieverbrauch und -intensität für Raumwärme – Private Haushalte (witterungsbereinigt).
  5. BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.), 2023: Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich. BBSR-Online-Publikation 09/2023, Bonn.
  6. Landesbetrieb IT.NRW. (2020, September 8): “41 Prozent der NRW-Haushalte sind Einpersonenhaushalte”, online unter: https://www.it.nrw/41-prozent-der-nrw-haushalte-sind-einpersonenhaushalte-17013#:~:text=NRW).-,In%20Nordrhein%2DWestfalen%20gab%20es%20im%20Jahr%202019%20nahezu%208,Anteil%20von%2041%2C0%20Prozent (zuletzt aufgerufen am: 26.04.23)
  7. Statistisches Bundesamt. (28. Juli, 2022): “Wohnfläche je Einwohner in Nordrhein-Westfalen von 1991 bis 2021 (in Quadratmeter)” [Graph]. In Statista: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/258058/umfrage/wohnflaeche-je-einwohner-in-nordrhein-westfalen/ (zuletzt aufgerufen am 03.05.23)
  8. Statistisches Bundesamt. (28. Juli, 2022): “Wohnfläche je Einwohner in Nordrhein-Westfalen von 1991 bis 2021 (in Quadratmeter)” [Graph]. In Statista: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/258058/umfrage/wohnflaeche-je-einwohner-in-nordrhein-westfalen/Statistisches Bundesamt  (2022, Juli): Wohnfläche je Einwohner in in Wohnungen in Deutschland von 1991 bis 2021(in Quadratmetern). https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36495/umfrage/wohnflaeche-je-einwohner-in-deutschland-von-1989-bis-2004/ (zuletzt aufgerufen am: 03.05.23)
  9. Verordnung zur Festlegung des Anwendungsbereichs bundesrechtlicher Mieterschutzvorschriften im Land Nordrhein-Westfalen (Mieterschutzverordnung – MietSchVO NRW), (2020). https://www.mhkbd.nrw/system/files/media/document/file/2020-06-09_mietschvo.pdf  (zuletzt aufgerufen am 04.05.23)
  10. BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.), 2023: Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich. BBSR-Online-Publikation 09/2023, Bonn.BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im
  11. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.), 2023: Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich. BBSR-Online-Publikation 09/2023, Bonn.
  12. empirica AG. (2022). CBRE-empirica-Leerstandsindex 2022. Zeitreihe 2009-2021.
  13. QUIS. (2021, März 11). Wie berechnet QUIS Leerstandsquoten für NRW? https://blog.quis.de/wie-berechnet-quis-leerstandsquoten-fuer-nrw (zuletzt aufgerufen am 04.05.23)
  14. BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und      Raumordnung (BBR) (Hrsg.), 2023:
    Unterstützung von Suffizienzansätzen im Gebäudebereich. BBSR-Online-Publikation 09/2023, Bonn.
  15. Wohnraumoffensive BW. (o. J.): “Prämie für die Aktivierung von ungenutztem Wohnraum – Beratungsprämie.”, online unter: https://www.wohnraumoffensive-bw.de/beratungspraemie (zuletzt aufgerufen am 04.05.2023)

 

Naturbasierte Lösungen als allrounder im Kampf gegen den Klimawandel

Naturbasierte Lösungen als allrounder im Kampf gegen den Klimawandel

Die Natur hat zahlreiche Talente. Sie beherbergt nicht nur Flora und Fauna, sondern hat auch eine entscheidende Wirkungskraft im Kampf gegen den Klimawandel. In der Zukunft werden naturbasierte Lösungen immer wichtiger, denn sie fördern Klimaresilienz und sind gleichzeitig wichtige Kohlenstoffsenken.

Foto: Madeleine Raabe (Wuppertal Institut) Die Emscher am Phönixsee in Dortmund (2023)

Naturbasierte Lösungen (Nbs) sind “Maßnahmen, die natürliche Prozesse und Eigenschaften von Ökosystemen nutzen, um zentrale gesellschaftliche Herausforderungen, wie z.B. den Klimawandel, zu bewältigen und dabei zugleich erheblichen weiteren ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gewinn bringen” [1]:

  • Sie sind essentiell für den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität: Fruchtbare Böden, saubere Flüsse, Wasser und Luft sind für das Überleben von Mensch und Tier unabdingbar.
  • Sie bringen gleichzeitig erheblichen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gewinn, beispielsweise durch die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Bereichen Landschaftsarchitektur, Bodenpflege, Gartenbau, Agroforstwirtschaft oder auch im Tourismus, der wie kaum ein anderer Wirtschaftssektor auf eine intakte Natur und Umwelt angewiesen ist.
  • Sie unterstützen den Menschen zudem bei der Anpassung an den Klimawandel und extreme Wetterereignisse [2]: Gesunde Böden speichern zum Beispiel Wasser, regulieren den Wasserhaushalt und intakte Flussauen unterstützen den Hochwasserschutz.
  • Die Schaffung von Naturräumen ist gerade auch in städtischen Ballungszentren von größter Bedeutung: Naturnahe Flächen in Städten fördern das menschliche Wohlbefinden, innerstädtische Parks, Flussufer oder Seen sind zudem wichtige Naherholungsräume und Treffpunkte. 
Vorteile von naturbasierten Lösungen - Die Europäische Kommission

Übersicht über die acht Großlandschaften NRWs, Abb. von Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW

Eines der größten Renaturierungsprojekte Europas ist in Nordrhein-Westfalen beheimatet: Der Emscher-Umbau im Herzen des Ruhrgebiets. Zusätzlich zu der wasserwirtschaftlichen und ökologischen Erneuerung des gesamten Flussgebiets wurde bei der Flussrenaturierung auch der Mehrwert für die Stadt- und Freiraumentwicklung, Klimaanpassung, Gesundheit, Biodiversität etc. mitgedacht.[3] Im 19. und 20. Jahrhundert wurde das Flussgebiet den Notwendigkeiten der Industrialisierung untergeordnet und so in seinen Ökosystemdienstleistungen massiv eingeschränkt. Mittlerweile ist die Emscher wieder ein Zuhause für viele Fischarten und an den Ufern leben Vögel, darunter der Eisvogel, der nur an besonders sauberen Gewässern brütet.[4] Der naturbasierte Umbau der Emscher ist eine Erfolgsgeschichte und steht heute stellvertretend und zukunftsweisend für die Möglichkeit eines nachhaltigen Strukturwandels einer ganzen Region.

Relevant auch für den Klimaschutz

Während bei der Anpassung an den Klimawandel die naturbasierten Lösungen im Vordergrund stehen, wird ihre Relevanz für die Speicherung von CO2 oft von den technischen Lösungsansätzen (z. B. Direct Air Capture oder Carbon Capture and Storage) verdrängt. Diese Technologien gelten als entscheidend für den Kampf gegen den Klimawandel und gewinnen zunehmend an Bedeutung, jedoch sind sie in dem Umfang, der für die Erreichung des 1,5 Grad Ziels benötigt wird, noch nicht vorhanden oder schlicht zu teuer und energieintensiv.[5] Auf der Europäischen Ebene werden jedoch auch naturbasierte Lösungen in den letzten Jahren intensiver diskutiert und spielen so zum Beispiel in der Strukturförderung und im European Green Deal eine wichtige Rolle. Aufgrund zahlreicher positiver Nebeneffekte und vergleichsweise günstiger Kosten-Nutzen-Verhältnisse sind naturbasierte Lösungen eine sinnvolle Ergänzung zu technischen Lösungen der Emissionsreduktion.

 

Herausforderungen in der Umsetzung

Besonders wichtig für die Umsetzung ist es, die Menschen in den Regionen und Kommunen als Partner*innen aktiv einzubeziehen: zum Einen diejenigen, die Flächen bewirtschaften und besitzen, zum Anderen die Entscheidungsträger*innen in den Kommunen und Städten, die am Besten einschätzen können, wo die dringendsten Bedarfe und auch Potenziale für die Umsetzung naturbasierter Lösungen liegen. Es ist deshalb sehr wichtig, bei den Maßnahmen für die naturbasierten Lösungen auf Förderung zu setzen, um so finanzielle Anreize für eine freiwillige Umsetzung, auch in NRW, zu schaffen.[6] Die kulturelle Herausforderung, vor der wir stehen, ist allerdings die Wiederentdeckung der Schönheit, Eigenart und Vielfalt der Natur, der auch bei der Debatte um die naturbasierten Lösungen schnell in den Hintergrund tritt. Zwar folgen Natur-, Umwelt- und Klimaschutz immer funktionalen, anthropozentrischen Überlegungen, jedoch sollten diese nicht nur Lösungen in einem engen technologischen Sinn verfolgen, sondern auch kulturelle Werte und unsere emotionalen und ästhetischen Bedürfnisse anerkennen.

 

Madeleine Raabe, Junior Researcherin im Forschungsbereich Energiewende International

Fußnoten

  1. Schubert, D. (2021). Naturbasierte Lösungen in den EU-Strukturfonds in Deutschland 2021—2027 Maßnahmen, Mehrwert und Möglichkeiten, S.3. https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Europa___International/nbs_strukturfonds_bf.pdf
  2. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. (2022). Aktionsplan Natürlicher Klimaschutz. https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Naturschutz/aktionsprogramm_natuerlicher_klimaschutz_2023_bf.pdf 
  3. Schröter, B., Brillinger, M., Gottwald, S., Guerrero, P., Henze, J., Ott, E., Schmidt, S., & Albert, C. (2021). Planung naturbasierter Lösungen in Flusslandschaften. oekom verlag. https://doi.org/10.14512/9783962388485 
  4. Fischer, Katarina. (2022). Emscher-Umbau: Die Rettung des dreckigsten Flusses Deutschlands. National Geographic. https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2022/09/emscher-umbau-die-rettung-des-dreckigsten-flusses-deutschlands .
  5. NABU. (2023). Negative Emissionstechnologien CCU CCS – NABU. https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/forschungspolitik/32419.html.
  6. Schubert, D. (2021). Naturbasierte Lösungen in den EU-Strukturfonds in Deutschland 2021—2027 Maßnahmen, Mehrwert und Möglichkeiten.
Kriterien für grünen Wasserstoff

Kriterien für grünen Wasserstoff

Mitte Februar hat die EU-Kommission zwei Delegierte Rechtsakte zur Definition von erneuerbarem Wasserstoff vorgelegt. Wichtig für den nötigen Hochlauf der europäischen Wasserstoffwirtschaft ist, dass Rechtssicherheit als Basis für Investitionen geschaffen wird.

Die Nutzung von grünem Wasserstoff stellt in Deutschland eine zentrale Strategie zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 dar. Viele dafür nötige Rahmenbedingungen werden aktuell auf EU-Ebene festgelegt. Am 13. Februar 2023 hat die EU-Kommission nach über einjähriger Verzögerung im Rahmen der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (2018/2001) die finalen Vorschläge für zwei Delegierte Rechtsakte veröffentlicht. Diese Verordnungen legen fest

1. welche Kriterien der für die Elektrolyse genutzte Strom erfüllen muss, damit der produzierte Wasserstoff und daraus hergestellte andere strombasierte Energieträger als erneuerbar gelten.
2. nach welcher Methode die Treibhausgasemissionseinsparungen durch strombasierte erneuerbare sowie recycelte Energieträger berechnet werden (siehe auch hier für einen Überblick).

Ausgestaltung der Kriterien abhängig vom priorisierten Ziel

Besonders ausgiebig wurde dabei die Frage diskutiert, welches energiepolitische Ziel priorisiert werden sollte: Um den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft besonders effektiv zu beschleunigen, bietet sich die Lockerung der Strombezugskriterien für grünen Wasserstoff an, um mehr Projekte in die Wirtschaftlichkeit zu bringen. In der Folge ist der Ausbau der Wasserstoffwirtschaft dann allerdings weniger eng an den Ausbau der erneuerbaren Energien gekoppelt: Die benötigten grünen Strommengen für die Wasserstoffproduktion erhöhen den absoluten Strombedarf. Dieser zusätzliche Strombedarf wird in Deutschland in der Regel durch nicht-erneuerbare Kraftwerke gedeckt, sodass höhere Emissionen im Stromsystem zu erwarten sind. Strengere Strombezugskriterien dagegen fördern den zusätzlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien, drosseln aber voraussichtlich das Tempo des Ausbaus der Wasserstoffwirtschaft und verzögern damit wichtige Emissionseinsparungen – vor allem in der Industrie. Inwiefern der eine oder andere Weg in Summe mehr Emissionen einsparen würde, ist wissenschaftlich kaum zu fassen.

EU-Kommission priorisiert Wasserstoffindustrie

Die Europäische Kommission hat sich nun für die Lockerung der Strombezugskriterien entschieden und damit die Hürden, grünen Wasserstoff zu produzieren, herabgesetzt. Diese faktische Priorisierung der Wasserstoffwirtschaft gegenüber dem zusätzlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien muss allerdings aus wissenschaftlicher Sicht zwingend mit einem effektiven Monitoring flankiert werden. Stellt sich heraus, dass der für die grüne Wasserstoffproduktion benötigte Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft mithalten kann, muss die Politik nachsteuern. Der Anspruch – auch an die NRW-Landespolitik – schnell und effektiv die rechtlichen und planerischen Rahmenbedingungen für den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Stromerzeugungskapazitäten zu schaffen, steigt damit weiter.

Rechtssicherheit für Investitionen wird benötigt

Eine politische Entscheidung wird hier in jedem Fall dringend benötigt. Denn die fehlende Rechtssicherheit stellt auch für die nordrhein-westfälische Industrie ein Investitionshemmnis dar. Insbesondere die in NRW zahlreich vertretenen, energieintensiven Unternehmen, allen voran der Stahl- und Chemieindustrie, sind für ihre Transformation auf Wasserstoff angewiesen.
Ob die finalen Vorschläge der EU-Kommission in Kraft treten werden oder nicht, darüber entscheiden das EU-Parlament und der Rat in den nächsten Monaten. Sie können die Vorschläge annehmen oder ablehnen – Änderungen sind nicht möglich. Wie diese Entscheidung ausfällt, ist aufgrund kontinuierlicher inhaltlicher Kritik aus den Reihen des EU-Parlaments aktuell noch unklar. Einigkeit herrscht angesichts der Dynamik des internationalen Wasserstoffhochlaufs zumindest darin, dass die EU schnellstmöglich langfristig verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen in klimafreundlichen Wasserstoff schaffen muss.

Katharina Knoop, Researcherin
im Forschungsbereich Strukturwandel und Innovation

Referenzen

  1. Deutsche Energie-Agentur (2023): Delegierte Rechtsakte der Europäischen Kommission veröffentlicht: Kompromiss für grünen Wasserstoff gefunden, Meldung vom 14.02.2023, online unter: https://www.dena.de/newsroom/meldungen/2023/delegierte-rechtsakte-h2-veroeffentlicht/ (zuletzt aufgerufen am 17.03.2023).
  2. Europäische Kommission (2023): Kommission legt Vorschriften für erneuerbaren Wasserstoff fest, Pressemitteilung vom 13.02.2023, online unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_23_594 (zuletzt aufgerufen am 17.03.2023).
  3. Kasten, P., Heinemann, C. (2019): Kein Selbstläufer: Klimaschutz und Nachhaltigkeit durch PtX – Diskussion der Anforderungen und erste Ansätze für Nachweiskriterien für eine klimafreundliche und nachhaltige Produktion von PtX-Stoffen, Impulspapier im Auftrag des BUND im Rahmen des Kopernikus-Vorhabens „P2X“, Berlin, online unter: https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Impulspapier-soz-oek-Kriterien-e-fuels.pdf (zuletzt aufgerufen am 27.03.2023).
  4. Tagesspiegel Background Energie und Klima (2023): Grüner Wasserstoff: EU-Kommission will Atomwasserstoff als grün klassifizieren, Meldung vom 14.02.2023 (kein öffentlicher Zugriff).
  5. Tagesspiegel Background Energie und Klima (2023): EU-Abgeordnete erwägen Veto gegen Wasserstoffregeln, Meldung vom 10.03.2023 (kein öffentlicher Zugriff).
Keep it simple! – Frugale Innovationen

Keep it simple! – Frugale Innovationen

Frugale Innovationen bezeichnen Entwicklungen, die anwendungs­orientiert, kostengünstig, leicht zu bedienen, zu reparieren und ressourcen­schonend sind. Sie sind unerlässlich für einen zukunfts­fähigen Industrie­standort NRW.

Während die führenden Unternehmen der Welt sich zunehmend auf Luxusprodukte und überladene Innovationen für High-Income Länder konzentrieren, fehlen Lösungen, die erschwinglich sind und genau das tun, was Nutzer*innen brauchen.[1] Genau solche Innovationen sind aber essentiell für eine nachhaltige Entwicklung, die ökologische, soziale und ökonomische Ziele gleichermaßen befriedigen kann. Man nennt diese Innovationen “frugal” und diskutiert sie nicht zuletzt im Kontext der Circular Economy.

Frugale Innovation für Nordrhein-Westfalen

Wie kann ein nachhaltiger sowie ressourcen- und energieschonender Umgang mit Sachgütern in der Zukunft gewährleistet werden? Welche Schäden an Mensch und Umwelt wollen wir uns als Gesellschaft für welche Sachgüter leisten?[2] Hier ist insbesondere das produzierende Gewerbe gefragt, das NRW stark prägt. Als Teil der Circular Economy können frugale Innovationen Ressourceneinsparungen verstärken und gleichzeitig die Erschließung neuer Märkte unterstützen. Spannend ist vor allem aber, dass das Nachdenken über frugale Innovationen eine Reflektion auslöst: Welche Schäden an Mensch und Umwelt wollen wir uns als Gesellschaft leisten?

“FRUGAL” ist auch ein Akronym

F = functional, R = robust, U = user friendly,
G = growing, A = affordable, L = local

Eigentlich bedeutet das Wort „frugal“ einfach, schlicht oder karg.
Doch im Kontext der „Frugalen Innovation“ erhält es eine zusätzliche Bedeutung.
Als Akronym beschreibt es die Kernprinzipien der Frugalen Innovation.

In NRW bekommt der Ansatz der Frugalen Innovation zunehmend Aufmerksamkeit. Das Bundesland verfügt wie kaum eine Industrieregion weltweit über die notwendigen Potenziale, durch zirkuläres Wirtschaften sowohl zum Klima- und Ressourcenschutz als auch zum Erhalt seiner wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit beizutragen.[3] In unterschiedlichen Veranstaltungs- und Vernetzungsangeboten (z. B. der Kongress „zirkulär.frugal.innovativ“ und die Initiative „Open Innovation City“) entstehen im Moment in Zusammen-arbeit von Wissenschaft, Wirtschaftsförderern und Unternehmen Ansätze, um das Thema als richtungsweisend auf der regionalen Agenda zu etablieren und Unternehmen zu motivieren, neue Formen der Innovation und des nachhaltigen Wirtschaftens zu erproben.

Für die Realisierung braucht es neue Wege und Formen der Zusammenarbeit sowie Allianzen von Wissen-schaft & Forschung, regionaler Wirtschaft und weiteren Akteur*innen. Dadurch kann ein inter-disziplinärer Austausch zwischen Wirtschaft und Wissenschaft gefördert, der Wissenstransfer ermöglicht und es können gemeinsame Kompetenzfelder aufgebaut werden, um eine zukunftsgerechte Transformation der Regionen zu fördern.

Eva-Maria Goertz, Junior Researcherin
im Forschungsbereich Stoffkreisläufe

Dr. Holger Berg, stellv. Abteilungsleiter und Co-Leiter
des Forschungsbereichs Digitale Transformation

Fußnoten

  1. Krohn, Malte (2022): The Crucial Role of Mindsets in Innovation Efforts. Opening the Black Box in the Context of Frugal Innovation. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-39970-2 . Springer Gabler Wiesbaden.
  2. Wohlfart, Liza/ Bünger, Mark/ Lang-Koetz, Claus/ Wagner, Frank (2016): Corporate and Grassroot Frugal Innovation: A Comparison of Top-Down and Bottom-Up Strategies. URL: https://www.engineering-produktion.iao.fraunhofer.de/content/dam/iao/tim/Dokumente/Wohlfart_et_al_TIMReview_April2016.pdf . In: Technology Innovation Management Review, April 2016, Volume 6, Issue 4. (zuletzt abgerufen am 22.02.2023).
  3. Wuppertal Institut (2022): NRW 2030: Von der fossilen Vergangenheit zur zirkulären Zukunft. URL: https://wupperinst.org/fa/redaktion/downloads/projects/NRW2030_Zirkulaere_Zukunft.pdf  (zuletzt abgerufen am 27.01.2023).

Der Industrieplan für den Europäischen Green Deal

Der Industrieplan für den Europäischen Green Deal

Ist der neue Industrieplan der Europäischen Union eine adäquate Antwort auf die Investitionspolitik der USA und Chinas? Was bedeuten die industriepolitischen Ziele der EU für NRW? Eine Einschätzung von Prof. Dr. Manfred Fischedick.

Im Herbst 2022 hat die US-Regierung mit der Verabschiedung des 370 Mrd. $ schweren Inflation Reduction Act (IRA) für große Aufregung gesorgt. Vornehmlich sollen damit Investitionen in grüne Zukunftstechnologien angereizt werden. Dabei ist die Inanspruchnahme von Vergünstigungen aus dem IRA daran geknüpft, dass die Produktion vor Ort stattfindet. Auch China hat mittlerweile angekündigt, rund 280 Mrd. $ in saubere Technologien investieren zu wollen. Gelingt es beiden Staaten, damit ein attraktives Investitionsklima zu gestalten, besteht die Gefahr der Abwanderung zentralerer Zukunftsindustrien aus Europa. 

Die Europäische Antwort

Mit dem am 01.02.2023 veröffentlichten Europäischen Industrieplan (Green Deal Industrial Plan) versucht die EU-Kommission eine Antwort auf die beiden Programme zu geben. Dabei steht, anders als in den USA, zwar keine protektionistische Grundhaltung im Vordergrund. Dennoch kann von einem bemerkenswerten Paradigmenwechsel in der bisher eher zurückhaltenden Europäischen Industriepolitik gesprochen werden. Die EU-Kommission zielt vor allem auf eine Beschleunigung in der Umsetzung ab und setzt dafür auf vier zentrale Säulen:

  • Die Festlegung von konkreten Produktionszielen für zentrale Zukunftstechnologien über ein Netto-Null-Industrie-Gesetz (Net Zero Industry Act) im Verbund mit einer Vereinfachung der regulatorischen Rahmenbedingungen zu deren Umsetzung.
  • Die Beschleunigung von Investitionen durch – zumindest temporär – weniger strenge Beihilferegelungen. Dadurch wird es den Mitgliedstaaten erleichtert, spezifische Förderprogramme aufzulegen (z. B. für Ansiedlung von Unternehmen).
  • Eine Qualifizierungsoffensive (European Year of Skills), um die Unternehmen durch ausreichend qualifizierte Fachkräfte in die Lage zu versetzen, Veränderungen auch umsetzen zu können.
  • Der Ausbau der globalen Kooperationsbeziehungen und Verankerung der grünen Transformation in Freihandelsabkommen sowie die Entwicklung eines Critical Raw Materials Club, der den fairen Zugang zu knappen Rohstoffen auf globaler Ebene sichern soll.

Damit setzt die EU Kommission wichtige Eckpunkte fest. Es erscheint aus heutiger Sicht aber noch unsicher, ob die Maßnahmen der EU mehr als ein wichtiges politisches Signal sind, zumal zunächst nicht vorgesehen ist „frisches“ Geld bereitzustellen, sondern insbesondere auf nicht ausgeschöpfte Mittel aus dem Corona Wiederaufbaufonds zurückgegriffen wird. Zudem sollen viele Detailregelungen erst im Laufe des Jahres veröffentlicht werden.

NRW im Umsetzungswettbewerb

Als Industrie- und Technologieland ist NRW ganz besonders von der Konkurrenzsituation mit den beiden großen Absatzmärkten USA und China betroffen und muss sich überlegen, wie die nationalen und europäischen Maßnahmen seitens des Landes durch eine kluge Industrie- und Standortpolitik flankiert werden können. Im aktuellen Koalitionsvertrag ist die explizite Absicht der Landesregierung formuliert, die erste klimaneutrale Industrieregion Europas werden zu wollen Dieses Narrativ kann helfen Kräfte zu bündeln und fortschrittliche Unternehmen anzusiedeln ist aber kein Selbstgänger. Das Land ist daher gefordert, bei der Vernetzung der Akteure entlang der Wertschöpfungsketten sowie dem Aufbau essentieller Infrastrukturen für die Umsetzung der Transformation mitzuhelfen. Mit dem Zusammenschluss von Landesregierung, Industrie und Wissenschaft in der Initiative IN4Climate (Initiative für eine klimaneutrale energieintensive Industrie) sowie der Formulierung einer landesspezifischen Wasserstoffstrategie und einer Carbon Management Strategie setzt NRW hierfür wichtige Akzente.

Internationale Industriepolitik, Klimaschutz und Versorgungssicherheit.

Lesen Sie dazu auch eine weitere Stellungnahme von Prof. Dr. Manfred Fischedick, in der er den internationalen Umsetzungswettbewerb vor dem Hintergrund von Klimaschutznotwendigkeiten und Energieversorgungswettbewerb einordnet.

Flankierende Maßnahmen auf Bundeseben notwendig

Auch von der Bundesebene sind weitere flankierende Maßnahmen zu erwarten, um die eigene Position zu stärken. Bei der Festlegung der Instrumente steht in einem Exportland die Konformität mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) im Mittelpunkt. Einen direkten Protektionismus deutscher Hersteller wird es daher nicht geben. Indirekt können die Unternehmen des Landes aber profitieren, wenn z.B. Fördermittel oder die Möglichkeit, sich an Ausschreibungen zu beteiligen, an bestimmte Qualitätskriterien (z.B. Nachhaltigkeits- bzw. Klima- oder Umweltvorgaben, Ausbildungsquote) geknüpft werden, die praktisch nur durch vor Ort angesiedelte Unternehmen erfüllt werden können. Entstehen würde hierdurch eine Win-Win-Situation, da neben der Sicherstellung, dass die Wertschöpfung im Land bleibt, höhere Nachhaltigkeitsziele verankert werden.

Unabhängig davon stellt sich im Moment sicher die Frage, inwieweit der aktuelle Umsetzungswettbewerb zu einer Beschleunigung des globalen Transformationsprozesses führen kann, d.h. quasi als Booster wirkt. Oder, ob eine Bündelung der Kräfte (z.B. im Rahmen des gemeinsamen Aufbaus einer globalen Wasserstoffinfrastruktur) deutlich wirkmächtiger wäre. Grundsätzlich ist zunächst aber einmal positiv zu werten, dass die USA sich mit dem IRA nun auch auf der nationalen Ebene gegenüber der notwendigen Ausbaudynamik von erneuerbaren Energien öffnen und China seine ambitionierten Ausbauziele weiter fortsetzt. Die hierdurch ausgelösten globalen Investitionen können zu einer Innovationsdynamik führen und in der Konsequenz zu technologischen Verbesserungen und signifikanten Kostendegressionen, von denen alle (auch die Länder des globalen Südens) profitieren.

Prof. Dr. Manfred Fischedick

Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer

“Wicked problems” im urbanen Raum lösen

“Wicked problems” im urbanen Raum lösen

Seit Jahren wird im urbanen Raum alles integriert gedacht: Kommunale Klimaschutz-, Verkehrs- oder Flächenentwicklungskonzepte, Konzepte zur Gesundheitsförderung und zur Arbeitsförderung, Stadtentwicklungskonzepte – um nur einige Beispiele zu nennen. All diese Konzepte erheben den Anspruch, die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen.

Foto: Victor, Unsplash

Foto: Victor auf Unsplash

Seit Jahren wird im urbanen Raum alles integriert gedacht: Kommunale Klimaschutz-, Verkehrs- oder Flächenentwicklungskonzepte, Konzepte zur Gesundheitsförderung und zur Arbeitsförderung, Stadtentwicklungskonzepte – um nur einige Beispiele zu nennen. All diese Konzepte erheben den Anspruch, die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen.

Es geht um Paradigmen

In der Realität ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit oftmals eklatant. Straßen sind hier ein gutes Beispiel. Im Paradigma der autogerechten Stadt werden sie vor allem als Verkehrswege für motorisierte Verkehrsmittel wahrgenommen und geplant. Das hat bekannte Folgen für Klima und Umwelt, aber auch Sicherheit, Gesundheit und Aufenthaltsqualität. Es gibt gute Gründe für Veränderung. Aber ein Paradigma sitzt tief und so ist die Veränderung schleichend, obwohl viele gute Beispiele – nicht zuletzt im NRW-Landeswettbewerb “Zukunft Stadtraum” – zeigen, wie eine zukunftsfähige Gestaltung des öffentlichen Raums aussehen und unterschiedliche Ziele der nachhaltigen Entwicklung gleichzeitig adressieren kann: Der für den Umgang mit dem Klimawandel notwendige Ausbau der blau-grünen Infrastrukturen erfordert zum Beispiel eine Entsiegelung von Straßenraum und damit in Folge eine Reduzierung von Parkraum, die wiederum mittelfristig eine erwartbare Reduktion des Aufkommens an Verkehrswegen mit privaten Pkws zur Folge haben dürfte. Das wiederum schafft Platz, Nahrerholungsqualität und mehr Sicherheit für nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmende sowie reduziert Luftschadstoffe, Emissionen und Verkehrslärm.

Wicked problems

würde man im Deutschen vermutlich “vertrackte” oder “verzwickte” Probleme nennen. So richtig gut lässt sich dieser Begriff jedoch nicht übersetzen und ist daher in seiner englischen Form zum geflügelten Wort geworden. Als “wicked” werden häufig solche Probleme bezeichnet, die sich durch ein hohes Ausmaß an Komplexität auszeichnen. Es ist jedoch genau diese begriffliche Rahmung, die eine Suche nach Lösungen erschweren kann. [1]

Die intelligente und nachhaltige Umgestaltung von öffentlichem Raum kann mit Fug und Recht als “wicked problem” bezeichnet werden: Sie ist gekennzeichnet von vielfältigen Nutzungsansprüchen und Zielvorstellungen, von hoher Komplexität und von Planungsunsicherheit. [1]  Daran scheitert die Idee der normativen, fachlichen, politischen und räumlichen Integration in der Realität bis heute zu oft. Während die fachliche und räumliche Integration oftmals nur im lokalen Einzelfall sinnvoll gestaltet werden kann, muss die normative und politische Integration auf übergeordneter Ebene erfolgen: Es bedarf eindeutiger, langfristig angelegter, politischer Rahmenbedingungen, die im Sinne der nachhaltigen Entwicklung synergieorientierte Systemansätze priorisieren und so Unsicherheiten reduzieren. Hier ist insbesondere die Landesregierung im Rahmen ihrer Raumordnungs- und Landesplanungskompetenz gefragt, die ihr die Möglichkeit gibt, die landesplanerischen Vorgaben systematisch auf Nachhaltigkeit auszurichten. [2]

Dr. Steven März, Senior Researcher
im Forschungsbereich Stadtwandel

Fußnoten

  1. Schwedes, Oliver und Alexander Rammert (2020): “Was ist Integrierte Verkehrsplanung?
    Hintergründe und Perspektiven einer am Menschen orientierten Planung” , IVP Discussion Paper Nr. 2020 (2), online unter: http://hdl.handle.net/10419/218899 (zuletzt aufgerufen am 08.03.2023).
  2. Goppel, Konrad (2018): “Landesplanung, Landesentwicklung”, in: ARL – Akademie der Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung, S. 1307-1322, online unter: https://www.arl-net.de/system/files/media-shop/pdf/2023-01/Landesplanung%2C%20Landesentwicklung.pdf (zuletzt aufgerufen am 08.03.2023).