Artensterben und Klimakrise gemeinsam betrachten

Artensterben und Klimakrise gemeinsam betrachten

Biologin Sandra Honigs ist seit 2008 stellvertretende Leiterin des Aquazoo Löbbecke Museum in Düsseldorf sowie Mitglied des NRW-Nachhaltigkeitsbeirats. Wir haben sie gefragt, wo sie aktuell die größten Herausforderungen und Chancen für die Biodiversität in NRW sieht.

Foto Bildarchiv Aquazoo Loebbecke Museum

Liebe Frau Honigs, Sie beschäftigen sich schon lange mit Biodiversitätsfragen und sind als stellvertretende Leiterin des Aquazoo im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung in NRW aktiv. Das Artensterben und die Biodiversitätskrise werden in der medialen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit häufig zur kleinen Schwester der Klimakrise gemacht. Wie denken Sie darüber?

Sandra Honigs: Zwei der vier wichtigen Aufgaben der Zoowelt sind es, sich dem Artensterben und dem Verlust von Lebensräumen entgegen zu stellen und hier aktiv zu sein. Zum anderen informieren wir unsere Gäste durch Bildungsangebote, unsere Beschilderungen, Sonderaktionen und Veranstaltungen uvm., wie wichtig es ist, den Schatz der Biodiversität zu erhalten und aus welchen Gründen dies auch für unsere eigene gesunde Existenz einen positiven Effekt hat. Für mich persönlich gehört die Klimakrise mit dem Artensterben und dem Verlust der Biodiversität in ein großes Paket und muss gemeinsam betrachtet werden. Die Zusammenhänge in der Natur sind zu komplex, als dass sie getrennt werden könnten. Jeder noch so kleine Baustein ist wichtig, um die Konstruktion „Gesundes Leben auf der Erde“ zu tragen, denn alles hängt zusammen! Zum Beispiel lautet das Motto unserer Amphibien Schutz- und Zuchtstation im Aquazoo Löbbecke Museum „Quaken für das Klima!“. Denn wenn wir den natürlichen Lebensraum einer Amphibienart retten, seine Biologie bei uns in Haltung erforschen und wissen, was diese Art zum Leben braucht, können wir diese und andere in der Natur besser schützen. So bewahren wir, was auch das Klima zu schützen vermag, die Biologische Vielfalt und intakte Lebensräume.

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der Säugetiere, die in den letzten 126.000 Jahren ausgestorben sind, hat der Mensch zu verantworten.

Seit die Menschheit existiert, beeinflusst diese die Biologische Vielfalt. Die Wissenschaft verzeichnet seit den ersten Schritten des Menschen eine zunehmende Tendenz des Artensterbens, die uns besonders bei Säugetieren auffällt, jedoch auch bei den meisten anderen Tiergruppen und Pflanzenarten dramatisch zunimmt. Heute ist die Aussterberate um 1.700 mal höher, als zu Beginn des Pleistozäns.[2]

Wenn Sie über NRW nachdenken, wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?

Sandra Honigs: In NRW ist es aufgrund der Bevölkerungsstärke sicherlich eine große Herausforderung alle Menschen gleichermaßen zu informieren und dort abzuholen, wo sie stehen. Es darf z.B. keinen Unterschied machen, aus welchem Elternhaus ein Kind kommt und wie es um familiäre Hintergründe bestellt ist, es muss für alle Menschen möglich sein, eine Bildung zu erhalten, bei der sie erfahren, wie wichtig der Erhalt der Biodiversität und der Schutz des Klimas ist und wie wir dies erreichen können. Hier sind Wege wichtig, die alle Menschen ihren Bedürfnissen nach ansprechen. Es wäre wünschenswert, Verständnis für die Thematik zu generieren, über die verschiedenen Gesellschaftsschichten, Interessen und Einkommenssituationen hinaus. Zudem können Lösungen zum Thema Mobilität eine wegweisende Rolle spielen, wenn wir hier etwas Positives in Hinblick auf das Thema Klimawandel entwickeln könnten. Hier liegen große Chancen für das Klima.

In der Diskussion um die Umsetzung der integrierten Nachhaltigkeit im Sinne der Agenda 2030 und auch der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie, sprechen wir sehr oft über Zielkonflikte. Die potenziellen Synergien gehen dabei nicht selten unter: Wo sehen Sie Chancen für NRW, die Erreichung von SDG 14 – Leben unter Wasser – und SDG 15 – Leben an Land – mit anderen Nachhaltigkeitszielen zu verbinden?

Sandra Honigs: Wenn wir uns mit der sehr komplexen Thematik der Nachhaltigkeit beschäftigen, treffen wir uns zwangsläufig beim Schutz des Lebens an Land und im Wasser wieder. Der Ökologe Prof. Dr. Josef Settele beschrieb in seinem Buch „Die Triple-Krise“ treffend, dass „die geschundenen Regenwälder, Ozeane und europäischen Blühwiesen wiederherzustellen – (…) den Planeten und die Gesundheit der Menschen“[1] retten würde. Wir verlieren in einem unnatürlichen Tempo Arten, Lebensräume und ganze Lebensgemeinschaften – Ökosysteme. So schlittert die Menschheit nicht in eine Krise, sondern ungebremst in eine Katastrophe. Viele SDGs bauen aufeinander auf bzw. ergänzen sich. Ein Beispiel: Durch hochwertige Bildung (SDG4) können wir Verständnis für natürliche Zusammenhänge erreichen und bei dem Menschen den Wunsch wecken, die Biodiversität zu erhalten. Wenn die Ökosysteme (SDG14 und SDG15) gesund bleiben, kann auch die Menschheit gesund bleiben (SDG3). In einer gesunden und funktionierenden Welt hätten Menschen auch sauberes Wasser (SDG6) und Nahrung (SDG2) zur Verfügung. Aber ohne globale Partnerschaften (SDG17) werden wir es nicht schaffen, die Menschen dort, wo der Klimawandel (SDG13) leider bereits unerbittlich zuschlägt und seine negativen Auswirkungen offenbart, sauberes Trinkwasser und Nahrung zur Verfügung zu stellen. Das ist natürlich sehr positiv und optimistisch gedacht, aber mit einer gesunden Umwelt gäbe es eine Basis.

Sie sind Mitglied im NRW-Nachhaltigkeitsbeirat. Welche Rolle sehen Sie für den Beirat in der Umsetzung einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitspolitik für NRW?

Sandra Honigs: Der NRW-Nachhaltigkeitsbeirat setzt sich aus unterschiedlichsten Menschen mit den verschiedensten beruflichen Schwerpunkten, Passionen und persönlichen Hintergründen zusammen. Wir vertreten zwar „eigene“ SDGs und besetzen so alle 17 Nachhaltigkeitsziele, befassen uns aber selbstverständlich auch mit allen 17 SDGs. Der Beirat ist so divers, wie die Nachhaltigkeitsziele und die Gesellschaft. Somit können wir uns hervorragend ergänzen, in Diskussion treten und unsere Chance nutzen die Landesregierung dahingehend zu beraten, kluge Entscheidungen für mehr Nachhaltigkeit zu treffen.

Es handelt sich um ein schriftliches Interview.
Die Fragen stellte Michaela Roelfes, Senior Researcherin
im Forschungsbereich Stadtwandel

Fußnoten

  1. Settele, J. (2020). Die Triple-Krise: Artensterben, Klimawandel, Pandemien: Warum wir dringend handeln müssen. Deutschland: Edel Books – ein Verlag der Edel Verlagsgruppe.
  2. Andermann, T., Faurby, S., Turvey, S. T., Antonelli, A., & Silvestro, D. (2020). The past and future human impact on mammalian diversity. Science advances, 6(36), eabb2313.